Auftragsdichterin über ihre Arbeit: All das kann nur ein Gedicht …
… Pizza jedoch kann das nicht. Ein Interview in Gedichtform über das Reimschema F, den Segen der Schreibmaschine und Themen, die immer gehen.
taz am wochenende: Frau Magnet, Sie schreiben Gedichte auf Bestellung. Was kann Lyrik, was Pizza nicht kann?
Sabine Magnet:
Poesie bringt dich zum Lachen,
tröstet ohne dick zu machen,
bringt dir Welt- und Selbsterkenntnis,
fördert Selbst- und Fremdverständnis,
42, ist Dichterin, Autorin und Journalistin. 2017 startete sie das Projekt „Poetry to go“, eine Poesieperformance, die auf der jahrhundertealten Tradition der Auftragsdichtung beruht: Sie sitzt mit ihrer Schreibmaschine in der Öffentlichkeit und verfasst aus dem Stegreif Gedichte nach Angaben der Auftraggebenden. Sabine Magnet lebt und arbeitet in München und London. Mehr dazu auf: poetrytogo.de
lässt dich wagen, lässt dich hoffen,
macht empfänglich, mild und offen …
All das kann nur ein Gedicht.
Pizza jedoch kann das nicht.
Apropos Essen: Eins meiner Lieblingsgedichte von Ihnen heißt „Pommes Schranke“, gewünscht von Caspar, 3 Jahre alt. Sind Kinder die besseren Auftraggeber?
Kinder sehen diese Welt
nicht emotional verstellt.
Sie sind mehr im Augenblick,
finden dort das große Glück:
Pommes Schranke, Sonne, Eis.
All der krasse Psychoscheiß
wurde per Mail geführt. Es dauerte insgesamt fünfeinhalb Stunden, verteilt auf zwei Tage. Die schnellste Antwort von Sabine Magnet kam nach drei Minuten. Selbst abseits des Interviews wurde gedichtet, von beiden Seiten: „Ich hätte schon noch ein paar Fragen / doch wenn‘s zu viel wird: einfach sagen!“– „Nein, das passt bisher noch, bloß / in zwei Stunden muss ich los …“
hat sie noch nicht in den Klauen.
Jedoch ist in Seelen schauen
ebenfalls sehr schön für mich.
Beide Parts ergänzen sich
wie im Leben so auch hier.
Alle Teile sind in mir.
Die Auftragsdichterin ist also auch immer Therapeutin.
Manchmal bin ich ein Kanal
für die ganzen Emotionen.
Manchmal ist es ganz banal
und ich schreibe über Bohnen.
Normalerweise schreiben Sie Ihre Gedichte auf der Schreibmaschine und nicht wie jetzt am Computer. Liegt das womöglich an der heilsamen Abwesenheit der Löschtaste?
Ich schrieb bis jetzt auf allen Wegen,
mit Laptop oder Stift und Block.
Die Schreibmaschine ist ein Segen,
allein der Sound bringt schon so Bock.
Ich bin nicht ständig abgelenkt,
ich weiß, perfekt wird’s einfach nicht.
Das Wissen hat mich sehr beschenkt –
mit Freiheit, Mut und neuer Sicht.
Was ist eigentlich zuerst da: der Reim oder der Rest?
Dieser Zeile Keim
ist der Reim.
Eine Zeile drunter
ist mitunter
reimen eine Qual,
das passiert schon mal:
Wenn ich etwas sagen will,
bleibt’s im Reimezentrum still.
Viele kennen die Reimschemata (aabb, abab, abba …) noch aus der Schule. Gibt es auch ein Reimschema F – und, falls ja, wie sieht es aus?
Nach Wurst kriegt man Durst,
auf Brust hat man Lust,
die Sonne macht Wonne
und Regen macht Frust.
Es gibt ja auch Gedichte, die sich nicht reimen. Was ist denn der Unterschied zwischen Lyrik und Prosa?
Lyrik ist freier in allen Aspekten, ich kann neue Formen und Wörter erfinden,
Prosa hingegen muss Pflichten erfüllen und sich sehr viel stärker an Regeln binden.
Und die Minimalanforderung an ein Gedicht?
Die Reaktion ist mindestens ein Schmunzeln,
ein Luftanhalten oder Stirnerunzeln.
Das Bayerische Fernsehen nannte Sie den „weiblichen Wilhelm Busch der Gegenwart“. Finden Sie sich darin wieder?
Das ist ja wirklich eine Ehre,
mich mit dem Wilhelm zu vergleichen!
Und wenn ich selber Dichter wäre,
dann wäre das das größte Zeichen.
Doch bin ich’s nicht, ich bin kein Mann,
ich leb in einer andren Welt
und dichte mir, so gut ich kann,
mein Leben wie es mir gefällt.
Bei jedem Wort, das ich verfass’,
denk ich an die, die vor mir kamen:
Kaléko, Meier, Lavant – das
sind doch nur drei von vielen Namen …
Sie kommen aus München. Stimmt es, dass die Bayern eh von Geburt an zu zünftigem Humor neigen?
Schweinigel, Gankerl, Goggolori – in Bayern gibt es allerhand –
Humor ist Bayerns Zaubertrank, er hilft gegen den Bayern-Grant.
In München hatten Sie auch Ihre erste Einzelausstellung. Passend zum Titel „Amt für Lyrik und Gefühlsverarbeitung“ konnten Besucherinnen und Besucher eine Nummer ziehen und einen Antrag auf ein Gedicht stellen. Wie viel Lyrik steckt in der Bürokratie?
Sollte in Bürokratie
wirklich Lyrik stecken,
finde ich sie leider nie,
würd’ es auch nicht checken.
Formulierungen im Amt
saugen jedes Leben
aus der Sprache, doch, verdammt,
auch DAS muss es geben.
Ebenfalls Teil dieser Ausstellung waren die „Minutengedichte“, ein Wortspiel mit dem Begriff „Minutengerichte“. Zum Beispiel: Nichtstun / muss man / auch / erst mal / machen. Liegt die Würze in der Kürze?
Es ist doch so: Die Menschen haben wenig Zeit
und immer kürzer wird die Spanne der Aufmerksamkeit.
Und auf ihrer Suche nach Essenz baut die Poetin
aus paar Worten ne Skulptur so wie der Erwin.
Das Magische entsteht doch stets im Publikum –
die eine ist davon berührt, die andre findet’s dumm.
Was ist denn die häufigste Reaktion, wenn jemand sein persönliches Gedicht in den Händen hält?
Ganz oft sehe ich die Überraschung im Gesicht von Leuten:
„Das trifft so gut. Wie kann das sein?
Was ist geschehen?“
Und sehr oft fließen Tränen, die mir dann bedeuten:
„Danke. Ich bin wohl doch nicht so allein.
Ich bin gesehen.“
Und wissen Sie, wo das Gedicht danach landet? Am Kühlschrank? In der Schreibtischschublade?
Manche schicken nachher Fotos: „Dein Gedicht im Rahmen – hier!“
Ich glaub aber, manchmal landet auch ein Werk im Altpapier.
Wie gemein! Es steckt doch bestimmt auch viel von Ihnen selbst in Ihrer Auftragslyrik, zumindest Herzblut.
Die Gedichte sind wie Vögel, die ich aufzieh’ bis sie fliegen
und sie freilass’ in der Hoffnung, dass sie bald schon Junge kriegen.
Themen, die ja immer gehen: Tiere, Essen und Liebe. Was noch?
Oft gewünscht: Motivation, endlich einen Schritt zu machen.
Manche sehnen sich nach Klarheit, Leichtigkeit und schlicht nach Lachen.
Hoffnung ist ein großes Thema, viele Menschen brauchen sie
und, sehr wichtig: Trost. Das alles sucht man in der Poesie.
Wenn Sie sich entscheiden müssten: Dichtung oder Wahrheit?
Immer Wahrheit. Doch was ist das? Ist es das, was wir erkennen?
Was wir nach dieser Erkenntnis bei bestimmten Namen nennen?
Die wir von den Alten lernten ohne sie zu hinterfragen?
Wahrheit ist doch auch nur Dichtung. Ist das wahr? Wer kann das sagen …
Was kann Dada?
Dada kann gugut naneu.
Dada schnipselt sich fafrei.
Dada ruft lalaut kakrass.
Dada nennt mich Enibas.
Was ist besser, Rap oder Goethe?
Das ist so wie mich zu fragen:
Schokolade oder Eis?
Ich würd immer „Beides!“ sagen,
alles andre is’n Scheiß.
Wer bei der taz anruft und in der Warteschleife landet, bekommt Gedichte von der Wahrheitsseite, der Satire-Seite der taz, vorgelesen. Ein Gedicht über die Warteschleife fehlt allerdings noch im Repertoire …
Schau mal, wie ich in deiner Warte schleife
und dir in deine süßen Ohren kneife.
Ich trag mich ein zum nächsten Tanz in deiner Karte …
macht mir nix aus, wenn ich in deiner Schleife warte.
Und weil es so gut zum Abschied passt: Was bedeuten Floskeln wie „Herzlich“ oder „Mit freundlichen Grüßen“ denn nun wirklich?
Das haben wir uns ausgedacht,
dann haben wir es abgemacht:
bestimmte Regeln und Verfahren –
schon sind wir nicht mehr wie Barbaren.
Die Nettigkeit ist gut und richtig,
Manieren sind für alle wichtig.
Was Floskeln tatsächlich bedeuten,
das lernt man manchmal erst beizeiten.
Im Endeffekt kann’s alles sein
von „hab dich lieb“ bis „stirb, du Schwein“.
Manchmal ist’s gut, zu hinterfragen,
Tacheles reden, sozusagen.
Doch meistens machen Floskeln Sinn
und sind für alle ein Gewinn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen