Auftaktspiel der Nations League: Wiedergeburt des deutschen Fußballs
Deutschland stellt beim 0:0 gegen Frankreich einen Hochsicherheitsfußball auf den Platz. Am Ende werden sie auch noch dafür gefeiert.
Das schöne Spiel, das von Löw über die Jahre gepredigt wurde, ist Vergangenheit. Das Rackern bestimmt wesentlich den deutschen Fußball. Der Bundestrainer hatte Veränderungen angekündigt nach der Blamage bei der Weltmeisterschaft in Russland. Seine Mannschaft hat geliefert.
Mit vier kantigen Verteidigern auf einer Linie war Löw in das Duell gegen Frankreich gegangen. Dabei spielten mit Antonio Rüdiger, Jérôme Boateng, Mats Hummels und Matthias Ginter vier kantige Typen auf einer Linie, die allein schon von ihrer körperlichen Erscheinung her in der Lage sind, Angst und Schrecken zu verbreiten. Sie bildeten das Herz des Spiels. Boateng war mit seinen langen Pässen der Spielmacher der ersten Hälfte und Hummels war mit knapp 100 Ballkontakten so ins Spiel eingebunden wie es ein Innenverteidiger nicht allzu oft ist.
Davor spielte Joshua Kimmich, den Löw flugs zum Sechser umgeschult hatte eine Rolle, die man zu Zeiten des schlechten, lauten Rumpelfußballs in Deutschland Staubsauger genannt hat, eine Art Vorstopper. Soll bloß keiner auf die Idee kommen, im deutschen Fußball habe sich nichts geändert seit Vorrundengruppenplatz vier in Russland!
Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt
Die Deutschen stellten einen Hochsicherheitsfußball auf den Platz und wurden am Ende auch noch dafür gefeiert. Man hat dem Weltmeister ein Unentschieden abgetrotzt und war besonders stolz darauf, den französischen Offensivkönnern um Antoine Griezmann und dem phänomenalen Kylian Mbappé nicht allzu viel Raum gelassen zu haben. Es war nur noch wenig da von dieser Dominanzattitüde, mit der die deutsche Mannschaft über Jahre versucht hat, den Gegnern ihr Spiel aufzudrängen.
Joachim Löw hat seiner Mannschaft im Eiltempo eine Art Underdogfußball beigebracht. Ob das Publikum, dem in München vor allem die letzte halben Stunde des Spiels gefallen hat, als die Deutschen endlich kapiert haben, dass zum Reaktionsfußball vor allem schnelles Konterspiel gehört, auch dann noch applaudieren wird, wenn die Spieler auch gegen Mannschaften, die nach vorne nichts zu bieten haben, ein Fußballverhinderungsspiel aufziehen, ist ungewiss.
Nach dem Spiel war jedenfalls viel von Variabilität die Rede. Löw erinnerte daran, dass er auch in der WM-Qualifikation je nach Gegner mal mit Dreier-, mal mit Viererabwehr hat spielen lassen. Es bleibt nach diesem ersten Umschalten des deutschen Teams in einen Kampf- und Abwehrmodus also abzuwarten, ob die Fußballwelt – so wie es ja lange war – schaut, wie die Deutschen spielen können, oder ob die Deutschen schauen, wie die Gegner spielen und ihr Spiel darauf ausrichten. Sollte Zweiteres eintreten, der Salto rückwärts im deutschen Nationalmannschaftsfußball wäre perfekt.
Als Löw 2006 sein Amt angetreten ist, meinte er, man müsse sich von den deutschen Tugenden verabschieden und einfach mehr Fußball spielen. Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt und der deutschen Tugendtradition gehuldigt. Es war ja eine Art Staatsauftrag, die Löw in das Spiel eins nach der WM mitgenommen hat: man sollte den Spielern in jeder Szene ansehen, dass sie stolz darauf sind, den Adler auf der Brust zu tragen. Damit waren nach Spielende alle zufrieden.
Selbst die vereinzelten Pfiffe für den Mitte der zweiten Hälfte eingewechselten Ilkay Gündogan, den man hoffentlich zum letzten Mal verdächtigt hat, er fühle sich nicht deutsch genug, waren gegen Ende des Spiels verstummt. „Auf geht’s Deutschland, schieß ein Tor!“, schallte es durch das Stadion des FC Bayern. Das Fan-Schlager-Revival auf den Rängen war die angemessene Reaktion auf die Wiedergeburt des deutschen Vorstopperfußballs. 14 Mal haben die deutschen ihre französischen Gegner gefoult. Ist es das, worauf Joachim Löw aufbauen will? Wir werden sehen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen