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Aufstieg VW und FußballHauptsache, man ist drin

VW und die Stadt Wolfsburg, alles ist eng verflochten. Am Sonnabend reicht ein Unentschieden gegen Werder Bremen, damit der VfL den deutschen Meistertitel holt.

Die VfL-Fans probieren schon einmal, wie es ist, die Meisterscheibe in der Hand zu halten. Bild: reuters

WOLFSBURG taz | Klar, der VfL ist sein Verein. Er war es schon immer. Als sie aufgestiegen sind in die 2. Liga, war er dabei. Beim Bundesligaaufstieg 1997 sowieso. Jetzt steht er im offiziellen Fanshop des VfL Wolfsburg in der Innenstadt und sucht sich ein neues Base-Cap aus - für das Bundesligafinale. "Für die Meisterschaft", sagt er. Er ist Wolfsburger. "Sie können gerne mit dem Mann vor dem Geschäft weitersprechen", sagt die Verkäuferin und weist zur Tür. Journalisten sind unerwünscht zwischen den Regalen mit VfL-Devotionalien. Auch sie selbst darf nicht sagen, wie gut sich die Sonderauflage der T-Shirts mit den neuen Bundesliga-Super-Stars Dzeko und Grafite verkaufen. "Wir haben einen Maulkorb." Der Fan zahlt 12,95 Euro für seine neue schwarze Kappe mit dem grünen Schriftzug des Vereins. Wie man sich so fühlt als Fan einer Stadt wie Wolfsburg, will er noch sagen. "Da hat neulich wieder einer geschrieben, wir sind das Eisenhüttenstadt des Westens." Er schüttelt seinen grauhaarigen Kopf: "Tss!" Die Verkäuferin will jetzt doch etwas sagen: "Muss man sich jetzt schon schämen, nur weil man Arbeit hat?" Trotzige Wolfsburger.

Die Auto-Stadt

Stadtgeschichte: Wolfsburg wurde von den Nationalsozialisten im Jahr 1938 als Wohnsiedlung für die Mitarbeiter des Volkswagenwerkes gegründet und hieß bis 1945 "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben". Nach dem Krieg blieb die Stadt Sitz des VW-Werkes und wurde in Wolfsburg umbenannt. Heute leben etwa 120.000 Menschen in der niedersächsischen Stadt.

Vereinsgeschichte: Der VfL Wolfsburg wurde 1945 gegründet. Erst 1997 gelang dem VfL der Einzug in die Bundesliga, 1999 die Teilnahme am Uefa-Pokal. Der Verein gehört heute zu 100 Prozent der Volkswagen AG.

Vielleicht werden sie mitfeiern am Samstag. Die Stadt hat in Zusammenarbeit mit dem Klub eine Party für 100.000 Menschen organisiert. Es soll die Meisterfeier sein. Kaum einer mehr rechnet damit, dass der Titel doch noch nach München oder Stuttgart geht. Gegen eine müde Mannschaft von Werder Bremen, die am Mittwoch in Istanbul das Uefa-Cup-Endspiel verloren hat, reicht ein Unentschieden. Felix Magath, der bis vor drei Wochen das M-Wort noch nicht in den Mund nehmen wollte, hat am Montag ein Interview auf dem Münchner Rathausbalkon gegeben, da wo sich der FC Bayern fast jedes Jahr als Meister feiern lässt. Gehts noch frecher? Sie sind wer, die Wolfsburger. 700.000 Euro soll die Party kosten. Die Stadt, der Klub und Volkswagen teilen sich die Kosten.

"Geld kann viel, aber nicht alles - wir sind der Verein." Als die Mannschaft im letzten Heimspiel Borussia Dortmund mit 3:0 abgefertigt hat, hielten die Wölfe-Fans in der Ultra-Kurve diesen Spruch in die Höhe. Sie wissen, wie jeder in Deutschland, dass der Erfolg der Mannschaft zu einem Gutteil gekauft ist. Der Klub gehört zu 100 Prozent der Volkswagen AG. Deshalb kann er, solange der Konzern es will, anders wirtschaften als andere Klubs. Warum das so ist, verstehen die Anhänger jener anderen Klubs nicht. Denn der VfL ist so etwas wie ein Werksklub ehrenhalber. Weil VW den Verein seit seiner Gründung 1945 üppig alimentiert hat, erließ die Deutsche Fußballliga eine Sonderregelung und erlaubte die freundliche Übernahme des Klubs durch den Konzern. Den Wolfsburgern geht es seither wie der TSG Hoffenheim, die in der ersten Saisonhälfte auch dank der Millionen von Sponsor Dietmar Hopp die Liga aufgemischt hat: Ihnen schlägt Neid entgegen.

"Wenn du drin bist, dann kannst du über die anderen doch bloß lachen." Schichtende für Hansi. Es ist kurz nach 14 Uhr. Die Unterführung, die vom Werksgelände unter dem Mittellandkanal zur Stadt führt, hat ihn in die Tunnelschänke gespült. Der Werkzeugmacher ist 57. Reval im Mund, graue Haare, graue Haut. Er sieht viel älter aus, als er ist. Im Januar ist Schluss. Nach 40 Jahren in der Fertigung bei Volkswagen geht er in Rente. Er freut sich darauf. "Das ist, wie wenn du endlich wieder die Sonne siehst." Nein, schlecht gegangen ist es ihm nicht. Ihm wird es auch in der Rente nicht schlecht gehen. Er zeigt in die Schachtstraße, das ehemalige Zentrum von Wolfsburg. "Wenn ich da bei Penny an der Kasse arbeiten würde, dann wäre ich jetzt angeschissen." Er war drin, einer von VW.

Auch er sagt, dass er schon immer VfLer war. In der Jugend habe er selbst gespielt. Im Stadion war er dennoch lange nicht mehr. Wenn es geht, schaut er sich die Spiele in der Tunnelschänke an. Das macht er aber nur, wenn er am nächsten Tag keine Schicht hat. Er will nicht auffallen. "Wenn die Meister etwas merken, dann lassen sie dich mit dem Werkschutz zum Betriebsarzt führen und dann musst du ins Röhrchen pusten." Das Leben drin ist härter als früher. Es gibt auch bei VW Kurzarbeit. Dennoch kämpfen in Wolfsburg beinahe alle darum, reinzukommen. 2001 startete VW das Projekt Auto 5.000. Die Modelle Tiguan und Touran wurden von einer Belegschaft gefertigt, die nicht den Haustarif erhielt. Jahrelang kämpfte die IG Metall gegen das Modell, das der Konzern als Alternativangebot zu einer Auslandsverlagerung der Produktion sah. Mit Erfolg. Seit November sind die 4.200 ausgelagerten Beschäftigten wieder richtig drin.

"Das hat man schon gemerkt." Es geht um den Ruf Wolfsburgs in der Republik. Ein grauhaariger Mann mit einem ordentlich gezwirbelten Riesenschnauzbart steht vor einer Fotowand im Stadtmuseum Wolfsburg und kann sich nicht sattsehen an den Abbildungen alter Motorräder. Wieder geht es um Neid, als er von der Zeit erzählt, in der die Arbeiterfamilien Ende der 1950er-Jahre zum ersten Mal in den Urlaub gefahren seien. "Man wollte zeigen, was man hat. Das eigene Auto und dass man auch am Urlaubsort nicht jeden Pfennig umzudrehen braucht." Klar, dass das nicht immer gut angekommen sei.

Der Mann, auch ein VWler, einer, der bis zu seiner Rente drin war, wurde 1944 noch in der "Stadt des Kraft-durch-Freude-Wagens bei Fallersleben" geboren. So hieß die 1938 gegründete Siedlung am Volkswagenwerk bis 1945. Darüber dass die Stadt andernorts als Nazigründung verschrien sein, als hässliche Wohnmaschine gelten könnte, hat er sich noch nie Gedanken gemacht. Er findet Wolfsburg beneidenswert.

Keine seltene Einstellung, meint Arne Steinert. Er ist stellvertretender Leiter des Stadtmuseums, das in der Remise des Schlosses untergebracht ist. Gerade die älteren Bürger seien unheimlich stolz auf ihre Stadt, weil sie nicht nur gesehen haben, wie ihr Heimatort wächst, sie waren daran auch beteiligt. 1943 gab es 3.000 Wohnungen in der Stadt und eine Reihe Barackenbauten für Zwangsarbeiter. 1972 lebten schon über 130.000 Menschen in Wolfsburg, noch 10.000 mehr als heute. Die Stadt, so Steinert, habe irgendwann aufgehört, sich weiterzuentwickeln. Familien, die ein geräumiges Eigenheim suchen, hätten die Stadt lange gemieden. Zu klein sind viele der Wohnungen in den Siedlungen, die über die Jahre regelrecht aus dem Boden gestampft wurden. In der Tat ist die Stadt alt geworden. Auf den Rasenflächen zwischen den Wohnanlagen ist es zu sehen: jede Menge Wäscheleinen und kaum Spielplätze. Steinert selbst ist auch erst vor einem halben Jahr aus Hannover nach Wolfsburg gezogen.

Nur eine einzige, winzige Vitrine im Stadtmuseum ist dem Sport gewidmet. Natürlich geht es um den VfL. Der bringt erst seit ein paar Jahren Fußballstars hervor. Die Stars früherer Tage waren Judoka oder Leichtathleten. Das Museum zeigt ein Bild von Zehnkampf-Heros Dieter Möhring, bei dessen Auftritten das alte VfL-Stadion am Elsterweg stets gut gefüllt war. Ganz unten in der Sportvitrine steht ein VfL-grüner Gartenzwerg. Die Fußballer sind schon vor der ersten Meisterschaft museumsreif. "Auf die Meisterschaft werden wir natürlich reagieren", sagt Arne Steinert.

Sollte es einst ein VfL-Museum geben, es wäre wohl in der Volkswagen-Arena oder irgendwo in der Ausstellungswelt der Autostadt untergebracht. Seit neun Jahren stellt VW auf 25 Hektar seine Sicht der mobilen Welt aus. Autotainment mit künstlerischem Anspruch. Wenn der VfL ein Heimspiel hat, kaufen sich nicht wenige der Gästefans vor dem Anpfiff eine Karte für den Freizeitpark und streifen durch die Markenpavillons, Kathedralen für Audi, Seat und VW. Die Porschestraße, die Fußgängerzone auf der anderen Seite des Mittellandkanals, wird eher gemieden.

"Identitätsstiftend" ist diese typisch deutsche Einkaufsmeile nicht. Das ist für Bürgermeister Rolf Schnellecke (CDU) eher die Autostadt, das vor 15 Jahren gegründete Kunstmuseum und seit jüngstem auch der VfL. Bei dem sitzt er seit 2001 im Aufsichtsrat. Für ihn ist das Abschneiden des VfL schon jetzt das "Wunder von Wolfsburg". Er sagt: "Der VfL spielt erst 12 Jahre in der Bundesliga, und aus dem Blickwinkel anderer gilt Wolfsburg als Provinz." Die anderen und Wolfsburg. Auch den Bürgermeister beschäftigt dieses Verhältnis.

Nach der Saison verlässt Felix Magath, der wahrscheinliche Meistertrainer, dem man beim VfL beinahe jeden Wunsch erfüllt hat, den Klub und geht zum FC Schalke. Die Wolfsburger werden sich noch lange fragen, was diese Entscheidung mit ihrer Stadt zu tun hat.

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3 Kommentare

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  • DD
    dba dbs

    Man mag Wolfsburg beurteilen wie man will. Geschmäcker sind halt verschieden um es mal etwas platt auszudrücken. Wichtig ist nur, dass man sich ein eigenes Urteil verschaftt. Der Autor scheint sich mit Wolfsburg auseinanderzusetzen und sich dann ein Urteil zu bilden. Schade ist nur, dass von Beginn an - bis zum letzten Satz - eine negative Beurteilung mitschwingt. Der Autor hat insbesondere unberücksichtigt gelassen, dass der "klassische Wolfsburger" ein zugereister ist, oft aus Berlin...

  • HM
    Hartung, Mecki

    Ich interessiere mich nicht für Fußball, aber für Geschichte und Zeitgeschichte, für Repression und Widerstand. Erstaunlich und überraschend ist, dass ein Sportreporter sich für die Geschichte von Wolfsburg interessiert, den Weg zu Malochern findet und die Welt 'vor und neben dem Fußball' beleuchtet. Es hätte mich noch mehr gefreut, wenn erwähnt worden wäre, dass das "Volkswagenwerk" mit über 20 000 ZwangsarbeiterInnen von Anfang an als Rüstungsproduktion für den 2.Weltkrieg geplant war. Ohne die Opfer der ZwangsarbeiterInnen und ihrer Kinder, für die Ferdinand Porsche und sein Schwiegersohn Anton Piech verantwortlich sind, gäbe es "Wolfsburg" nicht, gäbe es den "VfL" nicht und nicht das Ergebnis vom Wochenende.

  • LM
    Lea Marsupilami

    Ich komme aus Wolfsburg (ich wag jetzt mal dieses Geständnis) und finde den Artikel sehr gut beobachtet, besonders den Teil über den Komsumtempel "Austostadt".

     

    Das Verhältnis Wolfsburg/VW ist sicherlich von außen interessant zu beobachten. Aus Sicht der arbeitenden Menschen kommen aber noch eine Menge interner Blicke hinzu, ein Maß von Mitbestimmung und Gewerkschaftseinfluss dank VW-Gesetz, die ziemlich einmalig für das kapitalistische System sind. Das könnte offensiv gewendet werden – "VW-Gesetz" für alle! –oder auch regressiv im Sinne der Standortlogik. Im Moment überwiegt letzteres, aber nichts muss bleiben wie es ist.