Aufstand in Libyen: "Gaddafi droht lebenslange Haft"
Der Internationale Strafgerichtshof prüft die aktuelle Lage in Libyen. Dabei geht es vor allem um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sagt der Völkestrafrechtler Kai Ambos.
taz: Herr Ambos, Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag soll die aktuelle Situation in Libyen prüfen. Das hat der UN-Sicherheitsrat am Samstag in New York beschlossen. Was passiert jetzt in Den Haag?
Kai Ambos: Der IStGH-Chefankläger Luis Moreno Ocampo wird ein Ermittlerteam zusammenstellen, das den Fall untersucht. Eventuell müssen erst Leute eingestellt werden, die Arabisch sprechen. Wenn es möglich ist, werden die Ermittler vor Ort arbeiten.
Und wenn nicht?
KAI AMBOS, 45, ist Professor für deutsches und internationales Strafrecht in Göttingen. Er ist einer der führenden Experten für Völkerstrafrecht und unter anderem Verfasser des Buches "Internationales Strafrecht".
Dann müssen sie Flüchtlinge, Journalisten und andere Zeugen befragen sowie schriftliche Quellen auswerten. Wenn die Ermittlungen einen dringenden Tatverdacht ergeben, wird wohl Anklage erhoben. Falls zu erwarten ist, dass sich die Beschuldigten nicht stellen, dürfte auch ein internationaler Haftbefehl erlassen werden.
Welche Taten soll der Chefankläger Luis Moreno Ocampo konkret untersuchen?
Moreno Ocampo soll nicht die gesamte Gaddafi-Ära in Libyen aufarbeiten, sondern nur die Ereignisse ab dem 15. Februar - also den Umgang des Regimes mit den jüngsten Massenprotesten.
Kann der Gerichtshof wegen Mord und Totschlag verurteilen?
Nein. Der IStGH ist nur für bestimmte Delikte zuständig, zum Beispiel für Völkermord und Kriegsverbrechen. In Libyen kommen vor allem Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Betracht. Zu prüfen ist dabei, ob es systematische oder weit verbreitete Angriffe auf die Zivilbevölkerung gegeben hat und Funktionsträger des Regimes dafür verantwortlich sind. Vieles spricht dafür, dass sich dies beweisen lässt.
Welche Strafe droht Gaddafi und Konsorten?
Die maximale Strafe in Den Haag ist lebenslange Haft, die mindestens 25 Jahre lang vollstreckt werden muss.
Wie schnell ist mit einer Anklage zu rechnen?
Hier geht es nicht um einige Tage, sondern eher um einige Jahre. Zum Vergleich: Der UN-Sicherheitsrat hat 2005 den IStGH beauftragt, die Situation in der sudanesischen Krisenprovinz Darfur zu überprüfen. 2007 gab es Haftbefehle gegen zwei Minister der sudanesischen Regierung. Erst im März 2009 kam ein weiterer Haftbefehl gegen den Präsidenten Omar Hassan al-Bashir hinzu, der bisher aber noch nicht vollstreckt werden konnte.
Wird die Einschaltung von Den Haag den Konflikt anheizen oder eher eindämmen?
Ich hoffe, dass dieser Schritt zu einer gewissen Mäßigung führt. Es gab am Wochenende schon erste Stimmen aus dem Regime, die für eine gewaltfreie Lösung plädierten.
Was passiert mit dem Verfahren in Den Haag, wenn die Opposition in Libyen die Macht übernimmt und einen neuen Staat aufbaut?
Grundsätzlich ist der IStGH nur zuständig, wenn die nationale Strafjustiz unwillig oder mit der Strafverfolgung überfordert ist. Wenn eine neue libysche Regierung die Ereignisse der letzten Wochen im Land selbst aufarbeiten will, kann sie das Verfahren in Den Haag jederzeit mit einem Einspruch stoppen, wenn er von eigenen ernsthaften Ermittlungen begleitet wird.
Hat Sie die Überweisung nach Den Haag überrascht?
Überraschend fand ich vor allem, dass sie einstimmig erfolgte. Auch Staaten, die dem Gerichtshof skeptisch gegenüberstehen, wie vor allem China, Russland und Indien, haben dafür gestimmt. Die USA sind unter Obama ohnehin viel Gerichtshof-freundlicher geworden. Der IStGH ist damit endgültig zu einem anerkannten Faktor der Weltpolitik geworden.
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