Aufruf zum „Autofasten“: So weit, so gut, so erwartbar
Wegen immer schlechterer Luft regen Umweltschützer das „Autofasten“ an. Die Idee ist etwas altbacken, aber nicht verkehrt.
Fleisch, Alkohol, Zigaretten, Drogen, Handyspiele, Süßigkeiten, Onlinenetzwerke – es gibt viele Dinge, die durchaus verzichtbar sind. Daher nimmt es kaum Wunder, dass sich die Kirchen jedes Jahr etwas Neues ausdenken, auf das die Gläubigen in der Fastenzeit verzichten könnten, um zu Gott und sich selbst zu finden. Durchaus originell ist in diesem Jahr die Aktion der evangelischen Kirche unter dem Motto: „Augenblick mal! Sieben Wochen ohne Sofort!“ Damit sollen die Menschen angeregt werden, ihr Leben zu entschleunigen und dem werbeinduzierten Wahn zu entkommen, jeder Wunsch könne immer und überall sofort erfüllt werden.
Man muss nicht religiös sein, um den Wert dieses Herangehens an den Alltag zu verstehen. Stellen Sie sich vor, Ihr Chef oder Ihr Partner oder Ihr Kind fordert: „Mach mal dies, und mach mal jenes!“ Und Sie sagen: „Nö, ich faste gerade, ich muss erst mal darüber nachdenken, ob das gerade für mich passt. Vielleicht später.“ Klingt irgendwie befreiend.
Im Vergleich dazu kommt die Aktion „Autofasten“ geradezu altbacken daher. Wegen der teilweise hohen Luftverschmutzung appellieren das Umweltbundesamt und Klimaschützer an Autofahrer, während der Fastenzeit freiwillig ihr Fahrzeug ganz oder teilweise stehen zu lassen. Bahn und regionale Verkehrsträger könnten allen Autofastern Sonderrabatte gewähren, um neue Kunden anzulocken, heißt es beim Umweltbundesamt.
Es gehe um kein Verbot, so Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). „Aber wir können unsere Perspektiven ändern, wenn wir ganz bewusst und zumindest in der Fastenzeit auf andere Verkehrsmittel umsteigen.“ Und der Grünen-Verkehrsexperte Stephan Kühn sagte, gegen hohe Schadstoffbelastung in der Luft helfe vor allem, weniger Auto zu fahren. Und wer mit Bus und Bahn fahre, komme nach seiner Erfahrung entspannter zur Arbeit und brauche sich nicht durch den täglichen Stau zu quälen.
Vorbild Wien
So weit, so gut, so erwartbar. Selbstverständlich spricht nichts dagegen, wenn passionierte Autofahrer ihren Wagen bewusst stehen lassen. Vielerorts ist in Deutschland der öffentliche Nahverkehr ordentlich ausgebaut und eine gute, wenn auch im internationalen Vergleich recht teure Alternative zum Auto. Dass es auch in einem Land mit einem hohen Preisniveau viel günstiger als bei uns geht, beweist Wien. Für 365 Euro pro Jahr kann dort das gesamte ÖPNV-Netz genutzt werden, das bis in die Naherholungsgebiete vor der Stadt reicht.
Auch im ländlichen Raum, wo der Nahverkehr naturgemäß keine großstädtischen Takte anbieten kann, gibt es Alternativen zum Auto. Immerhin wird laut Umweltbundesamt das Auto in fast der Hälfte aller Fälle für Fahrten genutzt, die nicht länger als fünf Kilometer sind – eine ideale Entfernung für Fahrräder oder Elektrofahrräder.
Was eingefleischte Autofahrer auf dem Land davon abhält, auch bei kurzen Strecken öfter auf das Rad zu steigen, ist allerdings schnell erzählt: Das Auto ist bequemer und schneller. Es bietet Schutz bei Regen, Sturm und Schnee sowie die Möglichkeit, die Dinge des Alltags bequem zu transportieren: Einkäufe, Werkzeuge, Arbeitsmaterialien, Schultaschen, Musikinstrumente, Sportausrüstungen.
Aber natürlich muss einer, der keine gesundheitlichen Einschränkungen hat, für kurze Wege nicht ins Auto steigen, wenn er nur ein paar Brötchen kaufen, einen Brief zum Kasten bringen oder Geld abheben will. Welche Autofahrt nötig ist, darüber sollte jeder Fahrer nachdenken. Nur: Zwang darf nicht zur Regel werden – schließlich wird ja auch niemand gezwungen, aufs Beten zu verzichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin