Aufnahmestopp in Igelstationen: Unsere Schuld an der Igelschwemme

Wer zurzeit bei den Orten anklopft, die üblicherweise Igel aufnehmen, wird freundlich abgewiesen. Tatsächlich aber sinkt die Igelpopulation.

Ein Igelsäugling liegt in zwei Händen

Mag es, wenn man ihn am Po streichelt: Igel-Säugling Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Dass alles mit allem zusammenhängt, weiß man auf eine Weise sowieso, auch dass es Hilfe gibt, die nur scheinbar hilft. Manchmal hilft es, einen untergewichtigen Igel vor dem Haus zu finden, um es ganz praktisch zu begreifen. Wer zurzeit bei den Orten anklopft, die üblicherweise Igel aufnehmen, wird freundlich abgewiesen, während neben einem bereits andere Leute mit Pappkartons voller Igel stehen.

Es gibt Stimmen, die die Igelschwemme, die an ein paar Orten in Norddeutschland wahrgenommen wird, als Folge des Klimawandels sehen. Fragt man Anne Berger vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, dann liegt das Problem woanders: Die Igelpopulationen, sagt sie, nehmen seit Jahren ab und das liegt kaum an Klimaveränderungen. Die Igel sind die ältesten Säugetiere bei uns, eiszeiterfahren, und was sie bedroht, ist die Tatsache, dass sie kaum noch Lebensraum haben. Keine Hecken, kein Laub, in dem sie Nester bauen könnten. Man muss gar nicht die Klimaapokalypse als Ursache für das Igelelend bemühen, es reicht ein Blick auf die leer gefegten Landschaften und die durchgeschotterten Gärten.

In Berlin, wo Berger forscht, kann von einer Igelschwemme derzeit nicht die Rede sein. Aber da die Zahl der Igeljungen pro Muttertier zwischen zwei und zehn schwankt, kann sich das schnell ändern. Berger möchte den Tierschützer:innen, die die untergewichtigen Igeljungen hochpäppeln, nicht an den Karren fahren, aber als Tierökologin ist das für sie keine Lösung. Einerseits, weil die Natur vorsieht, dass bis zur Hälfte der Igelkinder im ersten Jahr stirbt, andererseits, weil das Füttern die eigentlichen Probleme nicht löst.

Igeln finden in der Stadt inzwischen mehr Lebensraum als auf dem Land, was man je nach Perspektive als gute oder schlechte Nachricht betrachten kann. Der Hamburger Nabu zumindest sieht die Stadt, was den Zustand ihrer Hecken anbelangt, auf gutem Weg. Bleibt die Frage, was in den privaten Gärten stehen bleiben darf – da geht die Schere weit auseinander.

Die Stacheln am Po streicheln

Wenn man das Ganze noch lokaler betrachtet, mit Blick auf die vollen Tierheime und Igelstationen, dann kann man noch zwei soziale Faktoren mit einrechnen: die in Corona-Hoch-Zeiten angeschafften Haustiere, die jetzt die Tierheime bevölkern. Und die Altersstruktur der Ehrenamtlichen, die Zeit finden für die sehr aufwendige Igelpäppelei – das sind oft die Alten, für die es irgendwann zu viel wird.

Als ich bei einer solchen Station anrief, bat mich die Frau am Telefon so inständig, den Igel bei mir zu behalten, als ginge es um einen engen Freund. Wenn ich nur jetzt helfen könnte, sagt die alte Dame am Telefon, dann könne sie ihn im Dezember übernehmen. Und dann sagt sie noch, dass der Igel es möge, wenn man ihm über die Stacheln am Po streichelt. „Die Tierschützer sagen: Wir sind schuld, dass so viele Tiere sterben, da müssen wir um so dringender helfen“, sagt Anne Berger.

Der Igel isst das Futter unseres Katers, dessen Mutter auf einer ländlichen Durchgangsstraße überfahren wurde. Alles hängt mit allem zusammen und wir sind an zu vielem schuld – das ist, was einem die Igelauffang­stationen lehren.

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