Aufklärung pädophiler Taten: Hessen hört Missbrauchsopfer
Das Land Hessen trifft zum ersten Mal offiziell die Opfer einer jahrzehntelangen Missbrauchsserie an einer Schule in Darmstadt.
Nach einer jahrzehntelangen Missbrauchsserie an einer staatlichen hessischen Schule wird es am kommenden Mittwoch erstmals ein Treffen zwischen den Opfern und dem hessischen Kultusministerium geben. Die Vertreter der Betroffenen sollen dabei Gelegenheit haben, „ihre Vorstellungen und Ziele für die Aufklärung der Missbrauchsvorfälle zu erläutern“, teilte das Kultusministerium auf Anfrage der taz mit. „Das Hessische Kultusministerium unterstützt diese Initiative mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten“, hieß es weiter.
Wie groß der Ausmaß der Missbrauchsserie an der Elly-Heuss-Knapp-Schule in Darmstadt war, ist bis heute schwer abzusehen. Mehrere Jahrzehnte hatte ein Lehrer Jungen nachmittags zu sich nach Hause eingeladen, mit ihnen gekocht, Hausaufgaben mit ihnen gemacht – und sie unter anderem beim Mittagsschlaf in seinem Schlafzimmer vergewaltigt.
Erst 2005 war der Pädagoge wegen 15 Fällen von sexuellem Missbrauch an Kindern vom Landgericht Darmstadt verurteilt worden. Etliche andere Fälle waren längst verjährt. 2008 starb der Lehrer. Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Missbrauchsopfer weit über hundert liegt.
Den eigenen Missbrauch akribisch dokumentiert
Was die Bahn an der Bahncard stört und warum ein Manager rausflog, der sie einmal abschaffte, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 14./15. März 2014. Außerdem: Wo man Drohnen präsentiert als wären sie Diamanten: Auf der größten Waffenmesse der Welt in Abu Dhabi. Ein Gespräch mit dem supergeilen Friedrich Liechtenstein. Und: Kohle oder Gas? Der Streit der Woche zum Auftakt der Grillsaison. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Wie er ein System von Anreizen und Abhängigkeiten schuf, mit denen er besonders Jungen aus sozial schwachen Familien an sich band, belegen Aussagen mehrerer Betroffener aber auch Tagebuchaufzeichnungen, in denen der Lehrer den Missbrauch und auch die Gerüchte, die über ihn im Umlauf waren, akribisch dokumentierte. Einige dieser Tagebücher liegen der taz. am wochenende vor.
„Dann, es ist 18 Uhr, draußen schon dunkel, und er bemerkt, er könne den Himmel nicht sehen. Ich knipse das Licht aus und er reagiert mit Angst, indem er vor mir flieht. Ich lege ihm die Hände um den Hals und drücke leicht zu und sage: 'Wer Angst hat, reizt zum Angriff'“, schreibt der Anhänger der Reformpädagogik etwa schon im Oktober 1967.
In der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 14./15. März 2015 schildern die taz-Reporterinnen Nina Apin und Gabriela M. Keller den Kampf der Betroffenen um Aufklärung. „Alle fanden andere Antworten auf die Frage: Welche Gerechtigkeit kann es für die Opfer sexueller Gewalt geben?“, schreiben Apin und Keller. Betroffene, die sich Anfang 2013 an die Schulaufsichtsbehörden wandten, werfen den hessischen Ämtern Unwillen zur Aufklärung vor.
Urteil erst 2014 „inhaltlich bekannt“
Der Staatlichen Schulaufsicht, teilt das hessische Kultusministerium auf Anfrage der taz.am wochenende mit, dürfte das Urteil gegen den Lehrer „erst Anfang 2014 inhaltlich bekannt geworden sein“ – nachdem die Opfer sich 2013 erstmals gemeldet hatten. Auf Fachebene, schreibt das Ministerium, seien allerdings in der Vergangenheit „im Rahmen eines umfangreichen Schriftverkehrs (auch) Gesprächsangebote unterbreitet worden, die jedoch nicht angenommen worden sind.“
Am 18. März treffen sich nun erstmals Missbrauchsopfer mit dem hessischen Kultusminister Alexander Lorz (CDU) und einem Landtagsabgeordneten. Die Opfer wollen eine Anlaufstelle für Betroffene.
In ihrer Geschichte „Verlorene Jungs“ zeigen Apin und Keller, wie der verurteilte Lehrer im pensionierten Kollegium immer noch hohes Ansehen genießt – auch bei denen, die längst von seiner Verurteilung wissen. Sie schildern, wie lange die Opfer auch in diesem Fall brauchten, um sich Gehör zu verschaffen.
Die Titelgeschichte über die Missbrauchsserie an der Elly-Heuss-Knapp-Schule und ihre Aufarbeitung lesen Sie in der taz.am wochenende vom 14./15. März 2015.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!