Aufklären, verhüllen etc.: Freiwillige Selbstkontrolle
■ Gewichtiges Verkaufsargument: Die beschamhaarte Vulva auf Gustave Courbets Gemälde „L'Origine du Monde“ macht nun dem Kunstbuchhandel zu schaffen
An Deutlichkeit läßt Gustave Courbets Gemälde „L'Origine du Monde“ nicht zu wünschen übrig. Sein „Ursprung der Welt“ beginnt etwas oberhalb des weiblichen Bauchnabels und endet kurz vor den Kniescheiben. Was dazwischenliegt, hat Courbet als Realist 1866 anatomisch genau abgebildet: die fast ein wenig zu weit geöffnete Vulva, den Ansatz der Gesäßbacken, das dichte, dunkle Schamhaar – 46 mal 55 Zentimeter weibliches Geschlecht (taz vom 24./25.6.1995).
130 Jahre lang war es von seinen wechselnden Besitzern hinter Vorhängen und eigens dafür in Auftrag gegebenen Zweitbildern verborgen gehalten worden. Erst seit dem vergangenen Sommer ist es im Pariser Musée d'Orsay zu sehen – hinter Panzerglas und mit einem extra dafür abgestellten Wächter. Der altehrwürdige Münchener Prestel-Verlag widmet dem anstößigen Bild nun eine Biographie.
„Gustav Courbet: Der Ursprung der Welt – Ein Lust- Stück“ heißt der Band des in Paris lebenden Kunstkorrespondenten Günter Metken, den Prestel in seinem Frühjahrsprospekt für den März 1997 ankündigt. „Dargestellt ist ein schräg auf Laken gelegter Körper von der Brust abwärts bis zu den weit geöffneten Schenkeln“, hat dazu ein Lektor klinisch rein formuliert und verspricht „Courbets spektakuläres Lust-Stück als Ausgangspunkt für eine geistreiche und unterhaltsame Betrachtung zur Aktmalerei des 19.Jahrhunderts“.
Zu sehen allerdings bekommen die Buchhändler und Journalisten, für die die nun vorliegende Verlagsvorschau bestimmt ist, das Corpus delicti nicht. Den nachtblauen Schutzumschlag des angekündigten Buches ziert ein leerer goldener Stuckrahmen; die gesamte Prospektseite illustriert nur ein Detailausschnitt aus Courbets ebenfalls 1866 entstandenem Gemälde „Der Schlaf“. Das Bild zeigt zwar immerhin eine Liebesszene unter Frauen, reicht aber an Radikalität und Modernität nicht einmal entfernt an den „Ursprung der Welt“ heran. Der scheint die mehr oder minder freiwillige Selbstzensur auch 130 Jahre nach seinem Entstehen noch anzuziehen – mit jeweils individueller Begründung für das Nichtzeigenwollen des Gemäldes. 1977 fehlte es bei der großen Courbet-Retrospektive in Paris – angeblich weil es kein gutes Bild sei. Und noch im Frühjahr 1994 hatte die Polizei in verschiedenen französischen Städten Buchhändler aufgefordert, den Roman „Adoration perpetuelle“ („Ewige Anbetung“) von Jacques Henric aus der Auslage zu nehmen, weil der Roman über Courbet und den Sozialreformer Charles Fourier die offene Vulva auf dem Schutzumschlag zeigt und damit kleine Leser zu verderben drohte.
Den Vorwurf der Prüderie oder des vorauseilenden Gehorsams gegenüber feministischen Protesten oder denen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften weist Prestel- Pressesprecherin Gerda Geisler allerdings lachend von sich: „Im Buch selbst bilden wir das Gemälde natürlich ab.“ Gegen eine Abbildung auf dem Umschlag oder im Prospekt hätten aber die Verlagsvertreter mit der Begründung argumentiert, der Buchhandel habe dafür sicher kein Verständnis: „Da ist die Stimmung bei der Vertretersitzung schon ganz schön gramig gewesen, wie wir hier in München sagen.“ Stefan Koldehoff
„Gustave Courbet: Der Ursprung der Welt – ein Lust- Stück“, von Günter Metken; 96 Seiten, mit 60 Abbildungen, 49,80 DM, erscheint im März im Prestel-Verlag
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