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■ Da helfen keine Durchhalteparolen mehr, der SPD-Führung schwimmen die Felle davon. Keine zwei Tage hielt sich die Version, Günter Verheugen sei wegen Arbeitsüberlastung zurückgetreten. Die Bündnisgrünen bangen jetzt um Rot-Grün.Aufbruch

Da helfen keine Durchhalteparolen mehr, der SPD-Führung schwimmen die Felle davon. Keine zwei Tage hielt sich die Version, Günter Verheugen sei wegen Arbeitsüberlastung zurückgetreten. Die Bündnisgrünen bangen jetzt um Rot-Grün.

Aufbruch zum anderen Ufer bleibt grünes Tabu

Aktueller geht es kaum. Die Nachricht von Verheugens Rücktritt war gerade einen halben Tag alt, als Vorstandssprecher Jürgen Trittin am Samstag im Rheinhotel Dreesen in Bonn-Bad Godesberg den Strategiekongreß der Bündnisgrünen eröffnete. Der Sturzflug der Sozialdemokraten bereitet Trittin und seiner Partei seit Wochen „massive politische Probleme“. Daß mit Verheugen nun ausgerechnet einer der entschiedensten Anhänger eines rot-grünen Machtwechsels „den Bettel hingeschmissen“ (Trittin) hatte, verlieh der schon lange angesetzten Kongreßdebatte über Praxis und Zukunft rot-grüner Koalitionen neue Schärfe.

Die Angst vor dem unaufhaltsamen Niedergang der SPD sitzt den Grünen in den Knochen. Angesichts der Vorgänge im Erich-Ollenhauser-Haus wachsen nicht nur die Zweifel an der Attraktivität der rot-grünen Perspektive, die ohne Aussicht auf eine gemeinsame Mehrheit allmählich jeden Schwung zu verlieren droht. Da warnten einzelne auch davor, daß eine immer schneller erodierende SPD auch den kleinen Partner mit nach unten ziehen könnte.

Die politische Phantasie der Grünen-Mehrheit beflügelten solch düstere Aussichten nicht. Die Bereitschaft, strategische Möglichkeiten zur Durchsetzung von Reformpolitik jenseits der SPD-Bindung auch nur gedanklich durchzuspielen, war in Bonn denkbar gering. Wer es dennoch tat, erschien gegenüber den linken „Bewahrern“ der geltenden Option intellektuell so lebendig, daß selbst „Realo“ Michael Vesper davor warnte, „den Tabubruch zum Prinzip zu erheben“.

Am weitesten ging Ralph Fücks, der schlicht das Ende des rot-grünen Reformprojekts konstatierte: Es sei ein „Schönwetterprojekt“ gewesen, gegründet auf relative soziale und ökonomische Sicherheit, die Krise der SPD sei eben mehr als nur eine „Formschwäche“. Ähnlich wie Joschka Fischer in seinem Positionspapier für die Fraktion vor 14 Tagen zog Fücks die Schlußfolgerung, die Grünen müßten sich aus der „strategischen Gefangenschaft“ der SPD lösen und Reformperspektiven über die Parteigrenzen hinweg entwickeln.

Mit Rot keine Mehrheit, mit Schwarz keine Gemeinsamkeit – nur wenige wollten ihre Schlußfolgerung aus dem „strategischen Dilemma“ (so der Parteienforscher Joachim Raschke) der Bündnisgrünen so drastisch formulieren wie Regine Barth, Mitglied des Bundesvorstandes: „Wenn die SPD sich nicht mehr berappelt, dann muß man die Konsequenzen ziehen und sagen: Dann eben Oppositionspolitik auf Bundesebene auf Dauer.“

Schon in seiner Eröffnungsrede hatte Trittin neuen Koalitionen einen Riegel vorgeschoben: „Die aus der Orientierungslosigkeit der SPD erwachsene Differenz zu Bündnis 90/Die Grünen führt nicht dazu, daß der Abstand zwischen CDU und Grünen kleiner wird.“ Und auch Kerstin Müller, Flügelantagonistin Fischers in der Fraktionsspitze, warnte schon vor dem Kongreß in einem Grundsatzpapier, es sei „tödlich“ für die Grünen, wenn sie nun „zur politischen Mitte, zu schwarz-grünen Ufern aufbrechen würden“: Die links positionierte Wählerschaft werde einen solchen Schritt nicht nachvollziehen. Die verlorene Zugkraft der rot- grünen Idee konnten auch die Berichte aus bestehenden rot-grünen Regierungen auf dem Podium in Bonn schlecht ausgleichen. „Es gibt zu Rot-Grün auf Bundes- und auf Landesebene auf absehbare Zeit keine Alternative“, befand Michael Vesper, stellvertretender Ministerpräsident in Nordrhein- Westfalen. Angesichts des angeschlagenen Partners, dem man jeden Reformschritt erst abringen muß, klang Vespers Aufgabenstellung für die nächsten Jahre nach Kärrnerarbeit: „Wir müssen da durch.“ Hans Monath,

Bonn

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