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Aufbruch und Rückblick

KUNST Vier Monate lang hat ein Team um die Hamburger Künstlerin HMJokinen mit Geflüchteten zusammengearbeitet. Die Ergebnisse sind nun in der Ausstellung „ort_m [migration memory]“ zu sehen

Universeller Lebens- und Kunstraum: Patrick Tagoe-Turksons Kunst-Kiosk   Foto: HMJokinen

von Frank Keil

Selbstbewusst steht Salem A. vor der Kamera, schaut manchmal noch etwas verlegen, fokussiert aber schnell seinen Blick. Und erzählt vom Leben in Damaskus; von den verschiedenen Wohnvierteln, von dem kleinen Wald, in dem er oft mit seiner Familie spazieren war.

Sein Film, bei dem er ebenso vor wie hinter der Kamera stand, ist sein Beitrag für die Gruppenausstellung „ort_m“. Das „m“ ausgeschrieben als: „[migration memory]“. Es ist das erste Mal, dass Salem A. gefilmt hat. Studiert hat er Wirtschaftswissenschaften, seinen Abschluss hat er nicht mehr machen können. In Hamburg, hofft er nun, wird er das nachholen.

Berichte von Flucht

Seiner Erzählung folgt der Bericht einer Flucht. So gefilmt, dass der Geflüchtete nicht ins Bild rückt. Nur seine Hand ist zu sehen – wie sie auf einer großen Karte die Fluchtroute nachzeichnet, über Belgrad und Wien bis nach Passau. Auch der dritte Teil des Films erzählt von einer Flucht: vom Weg, den Salam A. gehen musste, eine Kunstlehrerin aus Ar-Raqqa. Mitte 2013 fiel die syrische Stadt dem selbst ernannten „Islamischen Staat“ in die Hände. Salam A.’s Erinnerungen, ihre Gedankensplitter kommen aus dem Off, während sie selbst stumm auf einer Hamburger Brücke steht. Einer Brücke, wie es sie auch in ihrer Heimatstadt über den Fluss Euphrat gab, bis Assads Luftwaffe sie zerstörte.

43 Tage war Salam A. unterwegs – 23 davon hat sie in Gefängnissen und an Grenzübergängen verbracht, erzählt die Stimme. Zurückgelassen hat sie ihre Tochter, ihren Sohn und ihren Ehemann. „Irgendwann werden wir alle wieder zusammen sein“, sagt sie. Zu sehen ist der Film im ersten Raum der ehemaligen Viktoria-Kaserne, der sich den Themen „Aufbruch“, „Flucht“, aber auch „Ankunft“ widmet. Neben einer plastischen Arbeit von Salam A: eine Hand aus Ton, die mit einem Sesamkringel fast verschmilzt – auf ihrer Flucht gab es außer Keksen kaum etwas zu essen.

Vier Monate gemeinsam

Vier Monate arbeitete ein Team und die Projektinitiatorin HMJokinen, eine Hamburger Künstlerin, im Vorfeld der Aussstellung in einem eigens angemieteten Atelierraum in der Süderstraße zusammen, dank Projektgeldern der Kulturbehörde. Die Teilnehmer konnten zwischen verschiedenen Workshops wählen: Siebdruck, Film, „Rhythm und Poetry“, freie Malerei oder plastisches Arbeiten mit Ton. „Es sind rund 90 Geflüchtete gekommen“, erzählt HMJokinen. „Manche sind nur einmal gekommen, andere waren sehr oft dabei und bedauern es sehr, dass wir den Raum wieder schließen mussten. Sie hätten so gerne weitergemacht.“

Dabei trafen Geflüchtete, die noch nie künstlerisch gearbeitet hatten, auf Profis aus den eigenen Reihen: E. Kashem unterrichtete an der Hochschule in Damaskus freie Malerei; Kunstlehrerin Salam A. arbeitete an einer staatlichen Schule. Und Samira Alizadehghanad arbeitete als Künstlerin im Iran – bis sie Freundinnen in einer privaten Wohnung ihre Mappe zeigte, in der sich auch Frauenakte fanden. Kurz darauf stand die politische Polizei vor der Tür: Derartige Zeichnungen seien im Iran verboten, drei Tage kam Alizadehghanad ins Gefängnis.

In Hamburg zeigt sie nun eines dieser Bilder: Eine Frau mit langem offenen Haar sitzt im Schneidersitz, angedeutet ihre bloßen Brüste, eingerahmt ist die Figur von Kalligrafien. Für unsere westlichen Verhältnisse ein vielleicht rätselhaftes und doch vordergründig dekoratives Bild. Aber die Geschichte dieses Bildes sei keineswegs eine harmlose, sagt HMJokinen.

In einem weiteren Raum dann ein ganz anderer Blick in die Welt: HMJokinen hat den ghanaischen Künstler Patrick Tagoe-Turkson eingeladen, hier einen seiner Kunst-Kioske aufzustellen. Kiosk, weil dieser in Ghana ein universeller Lebensraum ist: Man arbeitet in ihm, man lebt in ihm, man schläft in ihm. Zunehmend werden Kioske an Flüchtlinge vermietet, die in Ghana stranden. Und für Künstler wie Tagoe-Turkson ist der Kiosk Atelierraum.

Erarbeitet hat er seinen neuesten Kunst-Kiosk zusammen mit Schuhputzern und Schustern aus seiner Heimatstadt Kumasi – und lässt so die bei uns so strenge Trennung zwischen Kunst und Handwerk weit hinter sich. Garniert sind die Wände mit Dokumentarfotos, die seine Handwerks-Kunst-Kollegen bei der Arbeit zeigen.

Leichtigkeit und Schwere

Leicht, sehr humorvoll ist diese Arbeit. Leichtigkeit und Schwere, Aufbruch und Rückblick – von beidem erzählt diese Ausstellung auf jeweils eigene Weise. Und HMJokinen gibt unumwunden zu, dass sie und ihr Team immer wieder auch mit den schwierigen Lebenssituationen der Teilnehmer umgehen mussten – auch wenn sie betont, das ihre Arbeit eine künstlerische und keine therapeutische gewesen sei: „Manchmal saßen unsere Workshop-Teilnehmer einfach nur deprimiert da“, erzählt sie. „Weil unser Innenminister mal wieder verlauten ließ, dass er den Familienzuzug für die Geflüchteten stoppen werde.“

HMJokinen selbst ist mit einer künstlerischen Interviewarbeit vertreten: Sechs geflüchtete Frauen hat sie nach ihren Erinnerungen an ihre Herkunftsorte befragt, nach den dortigen Pflanzen und ihren Gerüchen. Durchaus ein brisantes Thema: Der Geruchssinn speichert Erinnerungen eben nicht auf kognitive Weise – und damit Gefühle.

„Die Interviews sind teilweise dramatisch“, sagt HMJokinen, „ich konnte manchmal hinterher nächtelang nicht schlafen.“ Dann schaut sie schaut sich um und sagt: „Dieses Projekt und die Arbeit mit den Flüchtlingen haben mich sehr geformt.“

Sa, 16. 1. bis Fr, 12. 2., Viktoria-Kaserne, Zeiseweg/Bodenstedtstraße, Do–So 14–18 Uhr

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