Aufbau in der DDR auf der Bühne: Mit viel Wodka in der Utopie
Armin Petras inszeniert am Berliner Maxim Gorki Theater "Rummelplatz" - ein Stück über Bergarbeiter und das Ethos der Arbeit. Die Romanvorlage war in der DDR verboten.
So viel Osten war lange nicht mehr. Mit "Rummelplatz" kehrt das Maxim Gorki Theater Berlin zurück zu den Anfängen der DDR, zu ihrem geologischen Seinsgrund gewissermaßen, dem Uranabbau tief in den Schächten der Wismut. Das schickt sich gut in einer Zeit, die Geschichte allerorten als das Pfund, mit dem sich wuchern lässt, entdeckt; ob zur Unterhaltung, zur Bekräftigung einer neuen Identität oder zu beidem zugleich.
Hier im Gorki-Theater ist das aber glaubhaft mehr als ein Trend im Gedenkjahr 2009. Denn der Suche nach einem anderen Blick auf die Geschichte, "von der Seite oder von unten", hat sich das Haus verschrieben, seit Armin Petras hier im August 2006 Intendant geworden ist.
"Rummelplatz" ist nach vielen eher verzettelten Prosastoffen auf der Bühne endlich wieder eine gelungene Romanbearbeitung von Armin Petras. 1965 war das Buch erstmals zur Publikationsreife gediehen und der Autor Werner Bräunig, 1934 in Chemnitz geboren, musste eigentlich glauben, mit seinem genauen Blick auf das Leben der Bergarbeiter, die bis in den kargen Satzbau spürbare Anstrengung, dem Selbstbild eines jungen Staates zu entsprechen, der "Greif zur Feder, Kumpel" als Losung ausgegeben hatte.
Dass Bräunigs ganz und gar nicht dissidentisches Buch damals jedoch nicht erscheinen durfte, weil Walter Ulbricht und Co gerade die Authentizität der Sprache, die Ehrlichkeit im Blick auf Beziehungen, Nazi-Vergangenheit und politische Fehler nicht aushielten, machte den Roman zu einer Größe der ungedruckten Literatur. Bräunigs Verhältnis zur jungen DDR war sehr libidinös besetzt, die Reaktion des Staates nur verklemmt. Darüber wurde viel geschrieben, als der Aufbau-Verlag die 620 Seiten "Rummelplatz" 2007 herausbrachte. War doch das Nichterscheinen des Romans ein Beweis dafür, wie wenig die DDR sich selbst ins Gesicht sehen konnte.
Das ist der Rahmen der Rezeption, in den die Bühnenfassung eintritt. Dieser komplexen Erwartungshaltung zum Trotz gelingt ihr etwas Erstaunliches: nicht klüger sein zu wollen als ihre Figuren. Deren Begeisterung, deren Hingerissenwerden von der eigenen Produktivität, deren Wunsch, mit dem Bohrhammer unter Tage oder den Maschinen in der Papierfabrik zu einem Organismus zu verschmelzen, deren Gebraucht-werden-Wollen wird in den Szenen erst mal ausgestreut wie eine wiedergefundene Einstiegsdroge zum Rausch der Gemeinschaft; ohne das gleich zu verraten an das Wissen über die Naivität dieser Haltung. Das kommt ja noch früh genug, von der Instrumentalisierung jedes Tuns im Sinne der Partei erzählt ja nicht nur der Roman, sondern auch die Geschichte des Autors.
Erst einmal aber gelingt Petras das Ernstnehmen des Pathos, ohne selbst pathetisch zu werden oder gleich in ängstlich karikierende Distanz zu gehen. Das gelingt den Schauspielern Milan Peschel und Michael Klammer als den voller dunkler Vorahnungen in die Gruben geworfenen Kumpeln; der eine, Christian Kleinschmidt, weil er ohne "Schwielen an den Händen" keine Aussicht auf einen Studienplatz hat, der andere, Peter Loose, weil Krieg und das Überleben danach ihn vor allem das Improvisieren gelehrt haben. Sie kommen an ohne Begeisterung, voller Skepsis und Wut auf ein System, das sie für die Fehler der Vergangenheit büßen lässt.
Sie wirken auch auf der Bühne zunächst wie zwei sehr kleine und zögerliche Gestalten angesichts der Aufgaben, die der Obersteiger der Wismut (Peter Kurth) gerade skizziert hat. Und wie sie dann doch vom Ethos der Arbeit entzündet werden, gerade da, wo sie eben noch fluchten, Leidenschaften in sich entdeckten, die ihnen selbst noch unbekannt waren, transportiert die Inszenierung so großartig wie die Sprache des Romans. Nicht zuletzt, weil sie erzählende Passagen geschickt mit den Dialogen verwebt.
Das Theater selbst führt sich an diesem Abend in dem sehr offenen Bühnenraum (von Susanne Schuboth) als ein Stück ehrliche, körperliche Arbeit vor. Szenenwechsel, Rollenwechsel, verschiedene Erzählstränge: das hat selbst etwas von größtmöglicher Effektivität bei sparsamen Mitteleinsatz. Erzählerisch und emotional kommen die Szenen schnell auf den Punkt, die Veränderung von Stimmungen und Orten ist bewundernswert organisiert.
Eben noch hat Regine Zimmermann als Ruth Fischer, 1. Maschinenführerin der Republik, eine heroische Schlacht gegen Bürokratie, Materialmangel und Vorurteile gewonnen. Dann passiert es: wir sehen die Fetzen aus der (imaginierten) Papiermaschine fliegen, angetrieben von der (sichtbaren) Windmaschine auf der Bühne; wir sehen Ruth Fischer wie das Sterntalerkind den Fetzen nachjagen, einsamer und einsamer von Sekunde zu Sekunde; wir hören die Beschreibung von Havarie und Maschinenausfall, von reißenden Papierbahnen, Filzen und Sieben, sachlich, knapp, bedrängt, aus ihrem atemlosen Munde. Ölverschmiert bricht sie im Arbeitskittel zusammen, um eine Utopie ärmer.
Um wenig später, frisch gebadet und im Bikini, aus einer in die Bühne eingelassen Wanne für eine Ostseeszene zu steigen, in der die ganze Initiative der sexuellen Verführung bei der Frau liegt. Weil sie eben doch die Maschinenführerin ist.
Regine Zimmermann spielt aber auch Heidewitzka, ein dünnes Hemd von einem Mann, mit großer Klappe und großer Anhänglichkeit, der vulgär von seinen Eroberungen prahlt und Erniedrigungen im Schnaps ertränkt. Mit ihm gehen Kleinschmidt und Loose auf den Rummel, der Roman und Stück seinen Namen gab. Dass Schiffschaukelfahren und Wodka literweise erst mal alles waren, was der Arbeiter-und-Bauern-Staat neben Zukunftsversprechen zu bieten hatte, war wohl eine der anstößigen Erkenntnisse Bräunigs.
Erzählende Passagen sind in dieser Bühnenfassung oft einzelnen Figuren zugeordnet, das Wissen des Autors wird zu ihrem Wissen, so wie ihre Erfahrung zu seiner Sprache geworden ist. Die Aufbaueuphorie, die Hoffnungstrunkenheit und der Wunsch, noch ein bisschen daran zu glauben, obwohl die Erfahrung allmählich mehr vom Gegenteil kündet: Diese Bereitschaft, sich selbst noch ein bisschen zu täuschen, ist fast in jeder Figur angelegt.
Nicht zuletzt das hat den Stoff auch attraktiv für Armin Petras gemacht. Auch für ihn war die DDR lange, trotz eigener Schwierigkeiten, die ihn 1988, mit knapp 24, zur unfreiwilligen Ausreise zwangen, ein verbesserungsfähiges System. Bräunigs Roman aber, und vor allem sein Verbot, ziehen dieses Bild in Zweifel, enthalten sie doch die bittere Ahnung, dass die Weichen in der DDR schon viel länger, fast von Anfang an, falsch eingestellt waren.
Petras inszeniert den Roman also auch mit einem gewissen Staunen und Erschrecken über die eigene Bereitschaft, wider die eigene Erfahrung an Ideale zu glauben. Das macht die Stärke der Inszenierung aus.
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