piwik no script img

Aufarbeitung der NSU-MordeMaas sieht „großes Staatsversagen“

Justizminister Heiko Maas entschuldigt sich bei Opfern und Hinterbliebenen für Fehler. So etwas dürfe nie wieder passieren.

Einer der NSU-Tatorte: die Kölner Keupstraße, in der die Terrorzelle 2004 eine Nagelbombe explodierte Foto: dpa

Dortmund/Berlin/Halle afp/epd | Fünf Jahre nach dem Auffliegen der rechtsextremen Zelle NSU hat sich Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) bei den Angehörigen der Opfer für Fehler und Versäumnisse der Sicherheitsbehörden in der Mordserie entschuldigt. Gegenüber den Dortmunder Ruhr Nachrichten (Freitagsausgabe) sprach der Justizminister von einem „großen Staatsversagen“. Es seien „sehr viele Fehler gemacht worden, und die können auch nicht revidiert werden“, bedauerte er.

„Dass Rechtsextreme der NSU über ein Jahrzehnt lang mordend durch die Lande gezogen sind und wir nicht in der Lage gewesen sind, dies zu stoppen und die Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen, ist nichts anderes als ein großes Staatsversagen.“ Das Leid, das die Täter angerichtet hätten, sei nicht wiedergutzumachen. „Das darf nie wieder geschehen. Dafür müssen wir alles tun.“

Er könne „das Entsetzen und die Enttäuschung der Angehörigen der Opfer sehr gut nachvollziehen“, sagte Maas. „Wir können uns bei ihnen nur entschuldigen.“

Die aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bestehende rechtsextreme Gruppe soll bis zu ihrem Auffliegen am 4. November 2011 zehn Morde und zwei Bombenanschläge verübt haben, dazu mehr als ein Dutzend Überfälle. Die meisten Opfer hatten einen Migrationshintergrund. Zschäpe muss sich zusammen mit vier mutmaßlichen NSU-Helfern vor dem Oberlandesgericht München verantworten. Sie bestreitet den von der Bundesanwaltschaft erhobenen Vorwurf der Mittäterschaft.

John bezweifelt, dass neues zu Tage kommt

Auch die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), Barbara John, hat ihre Enttäuschung übder die bisherige Aufarbeitung der NSU-Morde geäußert. „Die Hinterbliebenen sagen: Der Staat mit all seinen Ermittlungsbehörden konnte die Morde nicht verhindern – und kann jetzt die versprochene Aufklärung nicht leisten“, sagte sie der zur DuMont-Mediengruppe gehörenden Berliner Zeitung und Mitteldeutschen Zeitung (Freitagsausgabe).

Viele Familien der Opfer glaubten, „dass der Verfassungsschutz Informationen zurückhält – nicht nur weil Akten geschreddert wurden“, sagte John. Auch in den Untersuchungsausschüssen gebe es immer wieder Antwortverweigerung oder Ausweichen. „Die Betroffenen merken, dass die Dinge nicht mit aller Offenheit und Ernsthaftigkeit dargelegt werden.“ Es entstehe der Eindruck, dass das abstrakte Staatswohl höher gestellt wird als der Schutz der Menschen.

Zudem lägen die Taten immer weiter zurück. Und die jetzigen Ermittler gäben sich gar keine Mühe, noch einmal mit einem neuen Blick auf Taten und Täter zu schauen, kritisierte John: „Ich halte es deshalb für relativ unwahrscheinlich, dass zum Umfeld und zur Unterstützerszene viel Neues herauskommt.“

Die NSU-Opferbeauftragte verwies auch auf die gegenwärtige Situation, in der rechtsextreme Gewalt wieder stark zunehme. Das sei auch in den Opferfamilien ein Thema. „Sie haben nach wie vor Angst“, betonte John.

„Institutioneller Rassismus in der Strafverfolgung“

Auch die Türkische Gemeinde Deutschland (TGD) sagte, noch immer seien die NSU-Morde ungesühnt, Mittäter und Netzwerke ungeklärt. „Für die Hinterbliebenen der Opfer liegt darin eine erneute Entwürdigung – nachdem sie durch die Taten selbst und die erlittene Kriminalisierung schon ein erstes und zweites Mal in ihrer Würde verletzt wurden“, sagte TGD-Bundesvorsitzender Gökay Sofuoglu in Berlin.

Der Verband kritisiert zudem, dass die Empfehlungen des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages weitgehend folgenlos blieben. „Institutioneller Rassismus in deutschen Strafverfolgungsbehörden ist im Jahr 2016 noch genauso ein Problem wie zu Zeiten der NSU-Morde“, mahnte Sofuoglu. Dieser Missstand sowie der sprunghafte Anstieg rechter Gewalt in jüngster Zeit bereiteten den türkeistämmigen Migranten in Deutschland aktuell größte Sorge.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Abgesehen davon, dass man sich selbst nicht entschuldigen kann - welch anmaßender Schritt - ist der Satz: "Es seien „sehr viele Fehler gemacht worden, und die können auch nicht revidiert werden“" absolut zu wenig!

     

    Ja, viele Fehler können nicht mehr rückgängig gemacht werden, korrekt. Aber der Satz kann auch in Verbindung mit dem nächsten, es dürfe "...nie wieder geschehen", als ein Abschluss - ein Schlussstrich - verstanden werden. Das kann ja wohl nicht sein!

     

    Revidieren kommt aus dem Lateinischen und heisst wörtlich "wieder hinsehen". Im Deutschen haben wir dafür Synonyme wie "berichtigen" und ich sehe hier sehr wohl Potential für Berichtigungen. Das beginnt schon da, wo der Verfassungsschutz endlich seinen Widerstand aufgibt, wo Missstände vor Gericht kommen, wo sie geahndet werden müssen.

     

    Herr Maas, das ist weder der Ort, noch die Zeit für ein "Sorry, ist dumm gelaufen...!" Hier braucht es deutlich mehr!!!

  • Wenn Sie das wirklich so sehen, Herr Maas - warum lassen Sie es dann zu, das die Bundesanwaltschaft sich so hartnäckig und ausschließlich auf die Version vom NSU-Täter(_innen)trio fixiert, anstatt zumindest auch nach möglichen NSU-Terrornetzwerken zu fahnden?

     

    "Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof untersteht der Dienstaufsicht des Bundesministers der Justiz (§ 147 Nr. 1 GVG). Dieser trägt innerhalb der Bundesregierung und gegenüber dem Parlament die politische Verantwortung für die Tätigkeit der Behörde des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof."

     

    Quelle: http://www.generalbundesanwalt.de/de/stellung.php

  • Das NSU-Tribunal wird vom 17.-21. Mai 2017 in Köln stattfinden. Save the Date!

    http://nsu-tribunal.de/

     

    Tribunal NSU-Komplex auflösen.

    Nehmen Sie Kontakt auf, Spenden, etc.

  • Das die Einwohner den Politikern oder "Sicherheitsbehörden" vertrauen und wichtige Entscheidungen delegieren, darf nie wieder passieren.

    • @nzuli sana:

      Nanu, sind Politiker und Behördenmitarbeiter keine Einwohner?

  • " Er könne „das Entsetzen und die Enttäuschung der Angehörigen der Opfer sehr gut nachvollziehen“, sagte Maas. „Wir können uns bei ihnen nur entschuldigen.“

     

    Nur Entschuldigung? Das ist zu einfach. Viel zu einfach. Schlimm genug, dass der NSU jahrelang sein Unwesen treiben konnte. Bitter für die Angehörigen häppchenweise zu erfahren, dass der sog. Verfassungsschutz schon früh hätte davon wissen können, ja wissen müssen, wenn er es denn gewollt hätte.

     

    Der wirkliche Skandal ist aber die grotesk peinliche Aufarbeitung des Falls. Oder besser, der angebliche Versuch einer Solchen. Lügen, triksen, täuschen und vertuschen sind hier die Mittel der Wahl.

     

    Zu erkennen, dass scheinbar gar kein wirkliches Interesse an der Aufkärung besteht, dass ist das nur schwer zu Begreifende.

     

    Deshalb, Entschuldigung abgelehnt!