Aufarbeitung der G20-Gewaltaten: Fabio V. bleibt frei
Das Amtsgericht Altona rechnet im Fall Fabio V. mit einer Jugendstrafe auf Bewährung. Der Haftbefehl gegen ihn ist nun nicht mehr zu rechtfertigen.
Der Haftbefehl gegen V., der seit dem 7. Juli in Untersuchungshaft saß, war Ende November gegen strenge Auflagen außer Vollzug gesetzt worden. Der Angeklagte aus Norditalien musste 10.000 Euro Kaution hinterlegen, in Hamburg eine Wohnung nehmen und sich dreimal wöchentlich bei der Polizei melden.
Diese Auflagen entfallen nun. Die Hamburger Staatsanwaltschaft teilte dem NDR-Fernsehmagazin Panorama auf Anfrage mit, dass sie keine Rechtsmittel gegen die Aufhebung des Haftbefehls einlegen werde.
Da das Gericht davon ausgehe, dass der 19-Jährige, dem keine konkrete Straftat zur Last gelegt wird, nur eine Jugendstrafe auf Bewährung erwarte, sei der Haftbefehl und die Androhung der weiteren Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig, so Gerichtssprecher Wantzen.
Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) hatte die U-Haft unter anderem mit angeblichen „schädlichen Neigungen“ V.s begründet. Der war nach der gewaltsamen Auflösung einer Demonstration gegen den G20-Gipfel zusammen mit mehr als 70 anderen festgenommen worden, als er sich um Verletzte gekümmert hatte. Gegen all diese Demonstranten laufen Ermittlungsverfahren. Allein gegen Fabio V. ist bisher Anklage erhoben worden.
Kai Wantzen, Gerichtssprecher
Dem Verfahren kommt eine gewisse Präzedenzfunktion für die juristische Aufarbeitung der G20-Gewalttaten zu – nicht nur, weil Fabio V. der erste G20-Gegner war, der sich im Prozess als politisch Handelnder darstellte. Sondern auch, da nach Meinung des OLG, das sich schon zweimal mit dem Fall befasste, sich jeder des Landfriedensbruchs schuldig macht, der an einer Demonstration teilnimmt, bei der es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt – unabhängig davon, ob die Person eigenständig Gewalt ausgeübt hat.
Verurteilung wegen „Mitmarschierens“
Das Hanseatische Oberlandesgericht stützt sich auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Mai 2017, in dem die obersten deutschen Strafrichter „Mitmarschieren“ in einer gewaltbereiten Gruppe als ausreichend für eine Verurteilung werteten. Dadurch leiste der Teilnehmer „psychische Beihilfe“.
Der Schönheitsfehler an der Argumentation: Dem BGH-Urteil liegt ein gezielter Überfall von Fußball-Hooligans auf eine gegnerische Fangruppe zugrunde. Einen solchen Fall grenzten die BGH-Richter ausdrücklich ab von einer „politischen Demonstration“, bei der nicht alle Teilnehmer die von einzelnen begangenen Gewalttaten billigen. Solch eine Demonstration unterliege dem verfassungsrechtlichen Schutz des Versammlungsgesetzes.
Daher versucht die Staatsanwaltschaft im Prozess gegen Fabio V. zu beweisen, dass es sich der spontanen Demo an jenem 7. Juli nicht um eine politische Demonstration gehandelt habe, sondern um eine Gruppe von 200 Personen, die auf Gewalt aus war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels