: „Auf modern klingt es falsch“
■ Zur Aufführung der „Marienvesper“ von Claudio Monteverdi ein Gespräch mit Dirigent Hans Dieter Renken
Die erste Schallplatteneinspielung (1966 durch Jürgen Jürgens) der erst 1935 wiederentdeckten „Marienvesper“ von Claudio Monteverdi hatte so etwas wie eine Signalwirkung, vergleichbar nur der 1829 durch Felix Mendelssohn- Bartholdy erfolgten Aufführung der Bach'schen „Matthäus-Passion“ nach deren hundertjährigem Verschwundensein. Heute ist die „Marienvesper“ das meist gespielte und aufgenommene Großwerk vor 1700. Auch in Bremen gab es durch Wolfgang Helbich schon Aufführungen, nun steht wieder eine Marienvesper , diesmal mit dem Dirigenten Hans Dieter Renken, bevor.
taz: Das Werk hat ja einen textlichen Ausgangspunkt, die lateinische Vesper, das Abendgebet in der katholischen Liturgie. Die Vesper besteht in der Hauptsache aus fünf Psalmen, den dazugehörigen sogenannten Antiphonen, die den Psalm „einfärben“ sollen, und sie enthält einen Hymnus und ein Magnificat. Was ist es denn nun, was aus diesem sehr geschlossenen religiösen System ein derart großes und faszinierendes Werk hat werden lassen?
Dieter Renken: Wir müssen schon davon ausgehen, daß es funktionale Gottesdienstmusik ist. Aber sie ist eben von Monteverdi komponiert, sicher einer der größten Komponisten aller Zeiten. Und Monteverdi hat genau dieses Werk dazu benutzt, um sich als Meister aller Stile vorzustellen....
Was bedeutet das?
Nun, in dieser Zeit gab es die große Auseinandersetzung um den alten und den neuen Stil, die sogenannte „prima prattica“ und die „seconda prattica“, wie Monteverdi sie genannt hat, und mit der er den theoretischen Kampf gegen seinen Gegner Artusi aufgenommen hat.
In der Marienvesper mischt er den alten Stil in Gestalt vielstimmiger Chorsätze, die sich auf gregorianische Psalmtöne beziehen, mit der neuen affektgeladenen, solistischen Ausdruckskunst, aber auch schon virtuoser Koloraturkunst. Diese Mischung aus liturgischer Festmusik und wirklich subjektiver, weltlicher Dramatik, deren Hauptgestalt eben Maria ist, ist bis heute unerhört aufregend.
Welche Schranken er durchbrochen und wie innovativ ein solcher Versuch war, zeigt ja auch noch die ganze Deutungsgeschichte im 20. Jahrhundert, in der die Liturgiker eigentlich die neuen Concerti nicht verstehen, und die „autonomen“ nicht den liturgischen Kontext akzeptieren wollten.
Warum hat denn Monteverdi diese Doppelbödige in seiner Arbeit so stringent durchgeführt?
Er hat das Werk 1610 dem Papst gewidmet und ihm selbst überbracht, um einen Studienplatz für seinen Sohn zu erbitten. Die Publikation ergänzte er durch die Messe „In illo tempore“, die perfekt im alten Stil geschrieben ist. Er wollte also sicher mustergültig sein Können mit dem Arsenal aller Stile vorführen.
In der heutigen Aufführung wird nicht die große Fassung gespielt, sondern die Continuofassung, die Monteverdi selbst angefertigt hat, eine Tatsache, die ja sowohl den liturgischen als auch musikalischen Praktiker zeigt. Warum wählten Sie diese Fassung?
Das hat zunächst einmal leider pragmatische Gründe, wir haben das Geld nicht für die große Aufführung, die besonders die einleitende Toccata und den großen Schlußchor bedeutet. Aber ich habe mich längst mit den immanenten Qualitäten der Continuofassung angefreundet.
Was bedeutet Continuofassung?
Die Instrumente sind nur Orgel, Cembalo, zwei Lauten, Gambe und die große Violine, die Monteverdi ja besonders liebte. Zum Beispiel hat er für das ursprünglich siebenstimmig mit Instrumenten komponierte Magnificat eine völlig neue sechsstimmige Komposition geschrieben, die natürlich niemals und schon mal gar nicht im Kontext zu hören ist. Daß man die Ritornelle weglassen kann, hat Monteverdi immer wieder angegeben.
Welche Schwierigkeiten gibt es für die Aufführung?
Das Werk ist sehr sehr schwer, besonders rhythmisch. Aber ich habe mit dem Ensemble 119, das sind sieben SängerInnen,eine tragfähige Basis.
Monteverdi hat ja mit dem Raum komponiert. Kommt das in Ihrer Aufführung zum Tragen?
Ja, sicher. Die Chöre stehen sich seitlich einander gegenüber, die Continuogruppe sitzt als dritte Klanggruppe in der Mitte.
Sie sind einer der ersten in Bremen gewesen, der nach historischen Gesichtspunkten arbeitet. Warum?
Weil die Musik mit modernen Instrumenten ganz einfach ästhetisch falsch wird: die Klangfarben sind vollkommen anders, die Instrumente müssen sich auf eine bestimmte Art und Weise mischen, das geht nur mit den alten. Dann: die aus der Rhetorik entlehnten Figuren sind eben keine Melodien, wer sie als solche spielt, kann den Charakter der Musik gar nicht erkennen. Wir wissen das ja heute, wie diese Sprache abläuft und dann kann es nur noch darum gehen, wie die musikalischen Affekte am besten und am aufregendsten dargestellt werden. Für mich gibt es da keine Alternative mehr.
Ute Schalz-Laurenze
Die Aufführung der „Marienvesper“ findet in Bremen - Aumund, in der Kirche Alt-Aumund, am Sonntag ,29.1. um 20 Uhr statt.
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