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Auf digitaler Mission

Als Quereinsteiger soll Ex-Manager Karsten Wildberger das erste Bundesministerium aufbauen, das „Digitales“ nicht nur als Anhängsel im Namen trägt. Dabei zeigt er sich transparent und dialogbereit. Reicht das, um die großen Aufgaben zu meistern?

Kein klassisches Partei­gewächs, aber mittlerweile CDU-Mitglied: Karsten Wildberger, Bundes­minister für Digitales und Staatsmodernisierung Foto: Jens Gyarmaty/laif

Von Svenja Bergt

Der Witz hätte ein Türöffner sein können. „Das ist der Mann, der uns früher Faxgeräte verkauft hat und sie uns nun wieder wegnehmen will“, kündigt der Moderator den neuen Digitalminister Karsten Wildberger auf der Digitalkonferenz re:publica an. Es ist einer von Wildbergers ersten öffentlichen Auftritten überhaupt als Minister, und er steht hier vor einem ziemlich digitalaffinen Publikum.

Doch Wildberger nutzt den Witz nicht als Steilvorlage, um etwas Geistreiches zum Beispiel über die Relativität von Fortschritt und Digitalisierung zu sagen oder über den Zustand der deutschen Verwaltung. Stattdessen sagt er: „Eigentlich möchte ich das unkommentiert lassen – was die Faxgeräte angeht, macht die Firma da eher ein Trade-in, als dass wir die verkaufen.“ Trade-in wird es genannt, wenn Kun­d:in­nen ihr altes Elektronikgerät an einen Händler verkaufen und dafür einen Gutschein für ein neues bekommen. Und dass Wildberger hier „wir“ sagte und sich damit auf seinen ehemaligen Arbeitgeber, die ­MediaMarktSaturn-Gruppe, bezog, das war bestimmt nur ein Versprecher.

Die Einzelteile aus sechs Ministerien zu einem machen

Aber er ist ja noch neu in seinem Job als Minister für Digitales und Staatsmodernisierung. Auch wenn Zeit in politischen Dimensionen relativ ist: Innerhalb von vier Jahren hat er ein neues Ministerium aufzubauen und zum Laufen zu bringen, was für den Anfang heißt, die Digitalisierungsteile von sechs anderen Häusern zu fusionieren, vom Bundeskanzleramt über Inneres und Justiz bis Verkehr. Eine „Start-up-Mentalität“ nehme er in seinem Haus wahr, so berichtete Wildberger es im Bundestag. Zum Kennenlerntag ging es passend dazu ins Futurium, ein Museum in Berlin-Mitte, das sich als „Haus der Zukünfte“ bezeichnet.

Der promovierte Physiker Wildberger selbst ist kein Politikgewächs. Er hat keine Parteikarriere hinter sich, kein ­Ministerium oder eine andere Behörde geleitet, er ist jemand Externes, wie es sich Kanzler Friedrich Merz für diesen Posten gewünscht hat. Erst im Mai ist Wildberger überhaupt in die CDU eingetreten. Was er mitbringt, ist stattdessen eine lange Karriere in der Wirtschaft, angefangen als Berater in einem Consultingunternehmen über Posten in Energie- und Te­le­kom­mu­ni­ka­tions­kon­zer­nen bis hin zu seinem letzten Job, den mit den Faxgeräten: Vorstandsvorsitzender der ­MediaMarktSaturn-Gruppe und in deren Mutterkonzern ­Ceconomy. Dort sollte er die beiden Elektronikketten, die in Sachen Digitalisierung lange hinter anderen Unternehmen lagen, nach vorne bringen. Analogien zu Deutschlands Digitalisierungsstand im Vergleich zu Ländern wie Estland oder Finnland liegen da durchaus nahe.

Wildbergers neuer Arbeitsplatz in der Englischen Straße 30 in Berlin ist ein grauer, nüchterner Bürobau. Gegenüber eine Hotelkette, nebenan die Verkaufsräume einer hochpreisigen Automarke, um die Ecke die Spree. Zuvor saßen hier die Digitalabteilungen des Innenministeriums, etwas abseits von dessen Hauptgebäude. Das Büro von Betty Kieß, der Sprecherin des Ministers, liegt im zwölften Stock. Ein spektakulärer Ausblick über Berlin, über dem sich an diesem Julinachmittag die Wolken des nächsten Gewitters zusammenziehen. Trotz der Lage wollen Kieß und die anderen Mitarbeitenden hier weg: Das Haus ist zu klein. 150 Menschen passen in etwa rein, doch rund 500 arbeiten mittlerweile im Ministerium. In voller Personalstärke werden es um die 600 sein, schätzt Kieß.

Neu ist hier nicht nur das Ministerium, sondern auch die Arbeitsweise. „Zwar kann man bei der Digitalisierung keinen Schalter umlegen, und auf einmal ist alles digital“, sagt Kieß. Aber während die Vorgänger, die das Digitale als Anhängsel an ihr Ministerium bekommen hatten, immer wieder daran scheiterten, soll es jetzt anders laufen. Die Bür­ge­r:in­nen und die Wirtschaft, so will es der Minister, sollen bald merken, dass sich Dinge verbessern. Zum Beispiel, weil Verwaltungssachen, für die man vorher auf eine Behörde musste, auf einmal schnell und digital und einfach gehen. „Missionen“ nennen sie daher hier die Projekte: sechs Monate, klar definiertes Ziel, abteilungsübergreifendes Arbeiten. Mitarbeitende können sich darauf bewerben, so sollen die Motiviertesten gewonnen werden. Eine der ersten Missionen: das Bündeln und Ausrollen von besonders nachgefragten Leistungen wie Wohnungswechsel oder Kfz-Ummeldung in einer bundesweit einheitlichen IT-Infrastruktur.

„Das Arbeiten hier fühlt sich an wie building the plane while flying“ – das Flugzeug im Flug bauen –, sagt Kieß. Denn: Gesetzentwürfe müssen geschrieben werden, eine Haushaltsplanung gemacht; die normale Regierungsarbeit laufe, während man parallel dabei sei, die Strukturen aufzubauen, die unterschiedlichen Arbeitskulturen aus den entsendenden Häusern unter ein Dach zu bringen – und perspektivisch auch weiteres Personal zu suchen. Karsten Wildbergers Ansatz: Kommunikation. Zum Beispiel mit einem monatlichen Town-Hall-Meeting via Videokonferenz. Alle dürfen kommen, je­de:r darf Fragen stellen, die auch direkt beantwortet werden. Auch bei seinen ersten öffentlichen Auftritten zeigt sich Wildberger als einer, der Brücken bauen möchte. Er spricht davon, „Sachen verstehen“ oder „in einen Dialog gehen“ zu wollen. „Ich möchte, wenn es Kritikpunkte gibt, anderen Sichtweisen zuhören und auch lernen“, sagte er auf der re:publica-Bühne.

Schnelle Erfolge – oder lieber ein langfristiger Umbau?

„Der Minister kommuniziert seine Anliegen frühzeitig und transparent, zum Beispiel das Organigramm des Hauses und seine inhaltlichen Prioritäten. Das sind gute Signale“, sagt Benedikt Göller von Agora Digitale Transformation. Die NGO beobachtet die Digitalpolitik der Bundesregierung genau und hat etwa die Digitalstrategie ausgewertet. Der Experte sieht vor allem eine Gefahr: dass das neue Ministerium, um schnelle Erfolge vorweisen zu können, zu stark auf kurzfristige Projekte setzt – und zu wenig in den langfristigen Umbau investiert. Denn es genüge nicht, die Verwaltung nur mit digitalen Tools auszustatten. Es brauche dort einen echten Paradigmenwechsel: von dem juristischen, prozessorientierten Ansatz, der derzeit vorherrsche, zu einem, der die Nutzenden und die Unternehmen, also die Adres­sa­t:in­nen von Verwaltungshandeln, in den Mittelpunkt stelle.

„Es geht darum, Möglichkeiten zu schaffen und den Bür­ge­r:in­nen zu zeigen, wie sie sich einbringen können, wie sie Dinge verändern können und es dadurch für sie persönlich besser wird“, erklärt Göller den Ansatz. Das sei zum einen in Anbetracht der Digitalisierung notwendig, die für immer schnellere Veränderungen sorge. Zum anderen schaffe so eine Wirkungsorientierung Vertrauen in den Staat und dessen positive Effekte – in Zeiten von zunehmendem Rechtspopulismus ein wichtiger Faktor.

Karsten Wildberger deutet zumindest an, dass er das Thema angehen will: Gute Gesetze müssten in der Praxis funktionieren, sagte er bei der Vorstellung des Expert:innenberichts der Initiative für einen handlungsfähigen Staat Mitte Juli. „Deshalb nutzen wir die Frühphasen besser: mit Reallaboren und mit dem Mut zum Neudenken, Klar-und-konsequent-Handeln – spürbar für Bürger, Unternehmen und Verwaltung“, erklärte der Minister.

Doch es gibt auch Skepsis. Vor allem Wildbergers Wirtschaftshintergrund ist es, der bei Ver­tre­te­r:in­nen der Zivilgesellschaft nicht gerade für einen Vertrauensvorschuss sorgt. „In Unternehmen gibt es ganz andere marktwirtschaftliche Logiken als bei der Zivilgesellschaft“, sagt Kai Dittmann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Während bei Unternehmen eigene Interessen wie Renditen im Vordergrund stünden, gehe es bei zivilgesellschaftlichen Akteuren in der Regel um das Wohl der Gesellschaft, der Nutzer:innen. Das Internet anders zu denken, mit mehr nichtkommerziellen Orten, das werde für einen in Konzernen sozialisierten Menschen vermutlich viel schwerer.

Und dann wäre da noch eines der ersten konkreten Ziele, die Wildberger direkt zum Start öffentlich kommunizierte: ein Digital Wallet. Das ist eine Art digitale Brieftasche, in der wichtige Dokumente wie Führerschein, Versicherungskarte oder Personalausweis auf dem Smartphone liegen und mit der sich Nut­ze­r:in­nen zum Beispiel gegenüber Behörden oder Unternehmen ausweisen können. „Das ist eine Digitalisierung, die bei den Menschen ankommt“, warb Wildberger auf der re:­pu­bli­ca für das Projekt.

Die Fehler vom digitalen Führerschein nicht wiederholen

Es ist nicht der erste Anlauf. Ein ähnliches Vorhaben der Bundesregierung ist schon mal spektakulär gescheitert: der digitale Führerschein. Vier Jahre ist es her, da wurde die offizielle Führerschein-App der damaligen schwarz-roten Bundesregierung nur eine Woche nach dem Start schon wieder aus den App-Stores entfernt. Si­cher­heits­for­sche­r:in­nen hatten auf ernsthafte IT-Probleme hingewiesen. So eine Blöße wird sich das neue Ministerium nicht geben wollen.

Er verstehe, dass Wildberger das ­Wallet in den Fokus nehme, sagt Kai Dittmann von der GFF: „Wenn es klappt, dann ist es etwas, das die Leute direkt sehen können.“ Aber es sei nun wirklich keines der drängenden großen Probleme der Digitalisierung, anders als zum Beispiel die überbordende Macht der US-Techkonzerne, Deutschlands fehlende digitale Souveränität, Pro­ble­me bei der Cybersicherheit oder dass künstliche Intelligenz eher für unternehmerische Profite gedacht wird statt von der Frage her, wie sie der Gesellschaft dienen kann.

Trotzdem üben sich die Ak­teu­r:in­nen in vorsichtigem Optimismus: „Es ist grundsätzlich gut, dass es ein Digitalministerium gibt“, sagt Kai Dittmann. Ein neues Ministerium berge die Chance, die auf verschiedene Häuser verteilten Kompetenzen neu und sinnvoll zu ordnen. Dem stimmt auch Agora-Experte Benedikt Göller zu: „Die Themen rund um die Digitalisierung werden uns weiter beschäftigen, und ihre Relevanz steigt.“ Daher geht er davon aus: Das neue Ministerium ist gekommen, um zu bleiben – auch nach dieser ersten Legislatur.

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