: Auf der anderen Seite
Kinder aus dem alten Bezirk Mitte sollen im Wedding eingeschult werden. Die Eltern laufen dagegen Sturm.
Die Grenze verläuft entlang der Bernauer Straße. Das war so, und das ist so. Südlich des ehemaligen Todesstreifens, im alten Bezirk Mitte, wohnen vorwiegend gebildete, junge, erfolgreiche Deutsche. Auf der anderen Seite beginnt der Wedding. Da leben viele nicht ganz so erfolgreiche Migranten. Nun wagte es der Bezirk, Kinder aus Alt-Mitte den Grundschulen im Wedding zuzuteilen. Und löste damit einen Sturm der Entrüstung aus.
"Natürlich hängt es von der Herkunft der Kinder ab, ob eine Schule gut ist oder nicht", ruft ein aufgebrachter Vater auf einer von der Elterninitiative "Schule im Kiez" organisierten Diskussionsveranstaltung am Montagabend. "Ich habe gar nichts gegen einen hohen Ausländeranteil. Aber ein paar Kinder in den Wedding zu schicken ist keine Lösung", sagt Christoph Richter.
Er lebt mit seiner Familie in der Anklamer Straße im alten Bezirk Mitte. Sein Sohn besucht die benachbarte Papageno-Grundschule. Die fünfjährige Tochter könnte nächsten Herbst an der Gustav-Falke-Grundschule landen. Die ist keine 500 Meter weit entfernt - aber eben jenseits der Bernauer. Der Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunft liegt bei 87 Prozent.
"Ich habe Angst, dass meine Tochter nicht genug gefördert wird. Die müssen dort ja erst mal richtig Deutsch lernen", sagt Richter. Es gebe auch mehr Gewalt an der Schule, einen raueren Umgang. Richter ist Arzt, er behandelt vor allem Patienten aus dem Wedding. "Die Menschen sind verroht. Wer da lebt, hat keine Chance." Eine Mutter sagt selbstkritisch: "Es ist schon komisch. Wenn alle sich so verhalten würden wie wir, wie soll Integration dann funktionieren?" Trotzdem hat sie sich der Elterninitiative angeschlossen. Es geht ja um ihr Kind.
Die Direktorin der Gustav-Falke-Schule, Karin Müller, bedauert diese Entwicklung. "Die wissen gar nicht, wie es bei uns ist. Natürlich sprechen unsere Schüler deutsch, nur eben nicht ganz fehlerfrei." Schon in diesem Jahr sollten Mitte-Kinder dort eingeschult werden. Nur acht haben tatsächlich angefangen. Andere Eltern sind auf Privatschulen ausgewichen. Oder haben sich umgemeldet, manche sicherlich zum Schein.
Die zuständige Schulstadträtin Dagmar Hänisch (SPD) räumt ein, dass der Zuschnitt der Einschulungsbereiche so nicht funktioniert. "Wir wollten etwas gegen die Zementierung der sozialen Grenze tun", erklärt sie ihr Anliegen. Doch die Eltern hätten das nicht akzeptiert.
Nun muss sich der Bezirk etwas einfallen lassen. Denn das Problem wird sich verschärfen: Genau wie die Prenzelberger bekommen auch die Menschen in Mitte viele Kinder, die nach und nach in die Grundschulen drängen. Während zum Beispiel rund um den Arkonaplatz zurzeit 40 Erstklässler wohnen, könnten es den Geburtenzahlen zufolge in sechs Jahren schon 150 sein. Auch in den benachbarten Kiezen wird die Zahl der Sechsjährigen deutlich ansteigen.
In den 90er-Jahren zogen Familien häufig an den Stadtrand, Schulen wurden geschlossen. Heute wollen viele Eltern im Stadtzentrum bleiben. Hänisch bietet deshalb an, ab Herbst 2008 in einer ehemaligen Grundschule am Koppenplatz, also mitten in Alt-Mitte, zwei neue Klassen einzurichten. Vorausgesetzt, es liegen mindestens 50 Anmeldungen vor. Das Theaterhaus Mitte, das die Räume bisher nutzt, müsste dann umziehen. Wohin, das ist nicht klar.
Nach dem missglückten letzten Versuch will die Stadträtin auch die Einzugsgebiete der Grundschulen neu zuschneiden. Man könnte ihrer Meinung nach aus dem ganzen Gebiet, von der Oranienburger Straße bis zum S-Bahnhof Gesundbrunnen, einen Bereich machen. Die Eltern hätten dann die Möglichkeit zu wählen. Und auch die Wedding-Kinder bekämen die Chance, in Alt-Mitte zur Schule zu gehen. So hofft Hänisch, die Grenze an der Bernauer Straße doch noch zu überwinden.
Neue Einschulungsbereiche könnten frühestens 2009 greifen. Zu spät für Christoph Richter. Er muss sein Kind Ende des Monats anmelden. "Wir werden nach anderen Wegen suchen", sagt er. In den Wedding schickt er seine Tochter nicht.
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