Auf der Suche nach „Planet 9“: Der große Unbekannte
Niemand hat ihn je gesehen und doch sorgt er für einige Bewegung im Sonnensystem. Haben wir bald wieder einen neunten Planeten?
Da draußen im All ist gerade mehr los als sonst. Raketen kehren heil zur Abschussrampe zurück, anstatt unterwegs zu verglühen. Ein Weltraumteleskop sucht die Milchstraße stoisch nach „zweiten Erden“ ab und hat dabei schon über 3.000 Kandidaten entdeckt, die fremde Sterne umkurven. Eine ganze Reihe von Weltraumbehörden und Privatunternehmen planen die erste bemannte Reise zum Mars. Und bald soll unser kleines Sonnensystem auch noch einen neunten Planeten bekommen. Ja, hatten wir den nicht schon?
„Planet 9“. Arbeitstitel. Vorläufig. Dieses Ding hat die Welt der Astronomie in den vergangenen Monaten in helle Aufregung gestürzt. Doch Planet 9 umkreist die Sonne in zweierlei erschwerender Hinsicht:
1.) in einer so unvorstellbaren Entfernung, dass er selbst mit den besten Teleskopen kaum zu sehen ist.
2.) bis dato nur in der Theorie.
Maßgeblich vorangetrieben hatte die Suche nach Planet 9 der US-amerikanische Astronom Mike E. Brown. Das ist der Mann, der schon dafür gesorgt hatte, dass Pluto nicht mehr der neunte, äußerste Planet des Sonnensystems ist.
Und das kam so: Immer wieder entdeckten Brown und seine Kollegen im Kuipergürtel, einem Asteroidenfeld, das noch weit hinterm Neptun liegt, Gesteinsbrocken, die ähnlich groß sind wie Pluto. Einer davon, Eris, war sogar kurz als zehnter Planet im Gespräch. Doch dann schlug das Pendel der Weltraumbürokratie in eine andere Richtung aus: Um eine drohende Planeteninflation aus vielen neu entdeckten transneptunischen Objekten (also Himmelskörpern jenseits des Neptun) zu vermeiden, änderte die Internationale Astronomische Union die Richtlinien. So wurde Pluto am 24. August 2006 zum kleinwüchsigen Zwergplanet Nr. 134340 degradiert.
Die beiden wurden stutzig
Vielleicht hatte Mike E. Brown also ein schlechtes Gewissen, vielleicht wurde er über seinen Twitter-Account @plutokiller einmal zu oft von Fans des verstoßenen Nichtmehrplaneten beschimpft. Vielleicht ging er auch einfach nur seinem Job nach, als er vor einigen Jahren zusammen mit Konstantin Batygin die Spekulation zweier Kollegen über einen unbekannten Himmelskörper untersuchte.
Der Plan von Brown und Batygin war, die Theorie zu widerlegen, sie als bekloppte Idee abzuschmettern.
Der Plan ging gründlich in die Hose.
Was Brown und Batygin machten: Jenseits des Neptuns, knapp 5 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt, untersuchten die Forscher die Asteroiden im Kuipergürtel. Und stellten Unregelmäßigkeiten in deren Umlaufbahnen fest. Die beiden wurden stutzig. Das seltsame Verhalten der Objekte im Kuipergürtel musste eine Ursache haben. Genau wie man an einem See von kleinen Wellen, die plötzlich ans Ufer schwappen, auf die Existenz eines Motorboots schließen kann.
500-mal weiter von der Sonne entfernt
Neu ist diese Idee nicht: Schon vor rund 200 Jahren wurden Astronomen auf die Spur von Neptun gebracht, weil sie sich die Bewegungen eines bereits bekannten Planeten, nämlich Uranus, nicht anders erklären konnten. Danach mussten sie Neptun nur noch am Himmel orten. 1846 war es so weit.
Die Himmelskörper: Es schwirrt einiges durchs Sonnensystem. Doch nur weniges darf sich Planet™ nennen. Aktuell sind das: die vier sonnennahen Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars, die im Wesentlichen aus Gestein bestehen und eine feste Oberfläche haben. Und die vier Gasriesen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.
Die Regeln: Sie wurden 2006 von der Internationalen Astronomischen Union (IAU) neu definiert: 1. Ein Planet muss die Sonne umkreisen. 2. Er muss genügend Masse haben und unter seiner Schwerkraft eine nahezu runde Form angenommen haben. 3. Er muss seine Umlaufbahn von anderen Himmelskörpern „freigeräumt“ haben.
Der Streit: Die letzte Regel hat Pluto seinen Planetenstatus gekostet. Doch sie ist umstritten. Auch die Umlaufbahnen von Erde, Mars, Jupiter und Neptun seien nicht freigeräumt, sagen Kritiker. Außerdem waren bei der Generalversammlung der IAU zum Zeitpunkt der Abstimmung von 2.500 Delegierten nur noch 424 anwesend.
Batygin und Brown schickten also hypothetische neunte Planeten durch ein Computermodell des Kuipergürtels. Kleinere und größere Brocken, mit mal weiteren, mal engeren Umlaufbahnen. Immer wieder verglichen sie ihre Simulation mit der tatsächlich gemessenen Konstellation im All.
Am besten passte schließlich eine Variante von Planet 9, die zehnmal so schwer wie die Erde ist und 500-mal weiter von der Sonne entfernt. Ein eisiger Gasriese, der bis zu 20.000 Jahre braucht, um die Sonne zu umrunden. Und das auch noch auf einer im Vergleich zu den anderen Planeten ungewöhnlich geneigten und elliptischen Umlaufbahn. Ein bisschen irre irgendwie.
Doch die Ergebnisse von Brown und Batygin wurden im vergangenen Jahr sehr ernsthaft diskutiert. Denn ihr hypothetischer Planet ergäbe jede Menge Sinn. Planet 9 würde nicht nur die Bewegungen der Asteroiden im Kuipergürtel erklären. Sondern auch unsere eigene bis dato rätselhafte Schieflage. Die Bahnebene der Planeten steht nicht senkrecht zur Drehachse der Sonne. Sie ist um 6 Grad gekippt. Verantwortlich dafür könnte eben ein noch unbekanntes Objekt sein, das durch seine stark geneigte Umlaufbahn alle anderen Umlaufbahnen stört.
Nur Hawaii kann ihn sehen
Darüber hinaus hat Planet 9 vielleicht auch noch Schuld daran, dass es in der Erdgeschichte in regelmäßigen Abständen zu regelrechten Massenaussterben kam. Weil er nämlich, so eine Theorie, alle 27 Millionen Jahre den Kuipergürtel passiert und so einige größere Asteroiden in Richtung Sonne und Erde kickt. Tödliche Kometenhagel oder auch nur eine vorübergehende Verdunklung der Sonne wären die Folge.
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Nun muss man den geheimnisvollen Planeten bloß noch finden. Seinen groben Aufenthaltsort haben Brown und Batygin großherzig veröffentlicht. Sie möchten, dass der theoretische Planet 9 Realität wird. Doch das ist nicht so ganz einfach. Der Gigant ist so weit entfernt, dass er so gut wie kein Sonnenlicht reflektiert – nicht genug, um sich herkömmlichen Teleskopen zu zeigen. Derzeit könnte ihn allenfalls das Subaru-Teleskop auf Hawaii erspähen, in einigen Jahren kommt das Large Synoptic Survey Telescope in Chile hinzu.
Trotzdem kann jeder bei der Suche mitmachen. Die Forscher hoffen nämlich, dass die große Entdeckung in bereits vorhandenen Daten schlummert. Unmengen davon hat die Nasa auf ihrer im Februar gestarteten Website „Backyard Worlds: Planet 9“ veröffentlicht. Dort können sich Hobbysucher zeitversetzte Aufnahmen eines Infrarot-Weltraumteleskops angucken, die wie ein Daumenkino nacheinander über den Bildschirm flackern. Die Idee dahinter: Veränderungen, wie etwa ein verdächtig gradlinig wandernder Punkt auf den Bildern, kann das menschliche Auge besser erkennen als ein Computer.
Man kann natürlich auch in einer sternenklaren Nacht zum Sternbild Orion hinaufschauen, so etwa zwischen dem roten Riesen Beteigeuze und Orions Gürtel, am besten durch ein anständiges Teleskop, fernab von Städten und ihrer störenden Lichtverschmutzung. Wer dann ganz genau hinschaut … der wird immer noch absolut keine Chance haben, Planet 9 zu sehen, egal, mit wie viel gutem Willen man sich ihn auch herbeifantasieren mag. Aber schön sieht es aus, da draußen.
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