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Auf dem Weg zum Holi-FestGefangen im Fahrstuhl

Noch niemals bin ich in einem Fahrstuhl stecken geblieben. Nun ist es mir auf einer Reise durch Indien doch passiert.

Ein Schock, wenn der Fahrstuhl doch mal stecken bleibt Foto: Martin Schutt/dpa

J ahrelang habe ich in einem Haus mit Fahrstuhl gewohnt. Regelmäßig wurde er gewartet, einmal wurde er ganz erneuert. Dieser Fahrstuhl ist nie stecken geblieben. Selbstverständlich hat er mich mehrmals täglich über die Stockwerke getragen. Doch manche Gäste nahmen lieber den langen Weg über die Treppen, weil sie Angst vor dem Fahrstuhlfahren hatten. „Seltsam“, dachte ich noch vor Kurzem, in all den Jahren bin ich nie stecken geblieben. Noch nie in irgendeinem Fahrstuhl. Bis Ende März.

Kürzlich habe ich Indien bereist. An einem Tag habe ich mich mit Freunden in der Hotel-Lobby getroffen. Wir wollten gerade zu einem Holi-Fest, dem traditionsreichen indischen Frühlingsfest fahren, bei dem sich die Menschen mit Farben bewerfen. Holi ist das Fest zum Vollmond, mit dem der Anfang und das Leben gefeiert wird, der Sieg des Guten über das Böse.

Mit einer Freundin wollte ich noch einmal kurz hoch ins Zimmer, um etwas zu holen. Zusammen stellten wir uns wieder in den Fahrstuhl: Rumms! Auf einmal ruckelte es.

Der Lift machte einen Satz nach unten. Dann hing er. Das Licht ging aus. Dunkelheit. Augenblicklich ertönte ein lauter Alarm. Ein schrilles Ringen. Eine blecherne Stimme sprach: „Don’t be afraid, you will be rescued soon.“ Der Satz wiederholte sich: „Habt keine Angst, ihr werdet bald gerettet werden.“

„Don't be afraid“

Angst? Gerettet? Die Sätze bewirkten eher das Gegenteil. Die Freundin neben mir ging in eine Art Schockzustand. Eng presste sie sich mit dem Rücken an die Wand: „Ich habe Angst“, sagte sie. Nur diesen Satz. Dann sprach sie nichts mehr.

Es gab keinen Notrufknopf, keine Gegensprechanlage. Zum Glück hatte ich mein Handy dabei. Gerade am Vorabend hatte ich die Telefonnummer des Hotels abfotografiert. Ich tippte die Nummer der Rezeption ein. Doch ich hatte keinen Empfang. Ich wählte die Nummer einer anderen Freundin, die in der Lobby wartete – wieder keine Verbindung. „Don’t be ­afraid, you will be rescued soon.“

Auf einmal ging das Licht wieder an. Dazu eine laute Lüftung. Wir jubelten beide vor Glück. Der Fahrstuhl machte einen kurzen Satz nach unten. Doch dann blieb er wieder stecken. Das Licht ging erneut aus und auch die Lüftung. Nun begann ich mir Sorgen zu machen.

Was hatte die Lüftung mit der Sauerstoffzufuhr zu tun? Was, wenn uns beiden hier in diesem Fahrstuhl die Luft knapp werden würde? Ich versuche mir meine Sorge nicht anmerken zu lassen. „Ich schreibe in die Gruppe“, sagte ich zu der Freundin, die weiter an der Wand stand. Während ich unsere Messenger-Gruppe aufrief, merkte ich, dass meine Hände leicht zitterten. „SOS, wir sind im Aufzug stecken geblieben“, schrieb ich. „Könnt ihr der Rezeption Bescheid geben?“ Anders als das Telefonnetz funktionierte die Internetverbindung.

Meine Freundin unten erzählte mir später, dass die Personen an der Rezeption zuerst nicht reagierten. Erst als ein Mann dazukam, der auf Hindi übersetzen konnte. „In welchem Stockwerk steckt ihr denn?“, schrieb sie. „Ich weiß es nicht“, antwortete ich. „Vielleicht der dritte?“

Der Sieg des Guten

Im Fahrstuhl war es dunkel. Der Alarm und die blecherne Stimme tönten weiter. Wie lange standen wir hier schon? Die Sekunden und Minuten zogen sich in die Länge, als würde die Zeit im Fahrstuhl anderen Gesetzen unterliegen. Dann hörte ich auf einmal von schräg unten wie aus einem Traum die Stimme unserer Freundin. „My friends are stucked in the lift“, hörte ich sie sagen. „Hallo!“ Ich rief ihren Namen und klopfte gegen die Tür. Doch die Stimmen entfernten sich. Sie hörten uns nicht.

Es dauerte. Dann plötzlich ruckelte es wieder. Das Licht ging an. Die Lüftung ertönte. Der Alarm stoppte. Und dann fuhren wir langsam nach unten.

Die Türen gingen auf. Vor uns standen unsere Freundin und zwei Hotel-Mitarbeitende. „Happy Holi“, riefen sie lächelnd, während wir den ersten Schritt aus dem Lift machten. Dann kamen mir Blüten entgegen. Sie bewarfen uns mit Blüten. Holi ist das Fest des Anfangs, bei dem der Sieg des Guten gefeiert wird.

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Christa Pfafferott
Autorin
Christa Pfafferott schreibt die Kolumne "Zwischen Menschen" für die taz. Sie wurde zum Dr. phil. in art. an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg promoviert. Sie hat zuvor Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und die Henri-Nannen-Journalistenschule absolviert. Sie lebt als Autorin und Regisseurin in Hamburg.
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1 Kommentar

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  • Als Teenager hatte ich auch das "Glück" in einem Fahrstuhl stecken zu bleiben.



    Es gab keine Stimmen, die den betroffenen "beruhigen" sollen, ich meine: besser so. So verbrachte ich, gefühlsmäßig einen halben Tag, in Wirklichkeit eine oder zwei Stunden ohne Kopfkino ... bis irgendwann ein Techniker zu mir von unten zu rief, was ich tun soll und dann ging es weiter, nach unten. Manchmal können Hinweise, die eigentlich beruhigen sollen, genau das Gegenteil bewirken.