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Auf dem Spiel steht Polens Zukunft

Der Ausgang der Präsidentschaftswahl entscheidet auch darüber ob die Demokratie in Polen wieder aufgebaut oder Reformgesetze der Mitte-links-Regierung blockiert werden

Frauenpower: Unterstützung für den liberalen Präsidentschaftskandidaten Rafał Trzaskowski bei einer seiner Wahlkampfveranstaltungen in Łódź Foto: Czarek Sokolowski/ap

Aus Warschau Gabriele Lesser

Noch nie waren die Präsidentschaftswahlen in Polen so wichtig wie an diesem Sonntag. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Zukunft Polens und der ganzen EU. Wird der Favorit, Warschaus Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski von der liberalen Regierungspartei Bürgerplattform (PO), gewinnen, der die noch immer stark angeschlagene Demokratie in Polen wieder stärken will?

Oder wird Karol Nawrocki, ehemaliger Boxer, Chef des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) und Kandidat der rechtspopulistischen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in letzter Minute noch an seinem Rivalen vorbeiziehen?

Sollte das passieren, würde die aktuelle Mitte-links-Koalition unter Donald Tusk keine Chance haben, Polens Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nach acht zerstörerischen Regierungsjahren der PiS (2015–2023) wieder herzustellen und dann auch endlich mit dem eigenen Regierungsprogramm durchzustarten. Denn Nawrocki würde, wie der noch amtierende Präsident Andrzej Duda, mit dem Präsidentenveto jedes Gesetz zur Wiederherstellung der Demokratie in Polen blockieren. Sind doch beide Politiker Geschöpfe des mächtigen PiS-Parteichefs Jarosław Kaczyński.

Wenige Tage vor der ersten Wahlrunde am kommenden Sonntag, dem 18. Mai, sehen repräsentative Umfragen den Warschauer Oberbürgermeister Trzaskowski mit 31,5 Prozent Stimmen an erster Stelle. Ihm folgt Karol Nawrocki, der es in der polnischen Wählergunst auf 23,6 Prozent bringt. An dritter und vierter Stelle stehen laut Meinungsforschungsinstitut Ibris Sławomir Mentzen von der rechten Konfederacja (12,6 Prozent) und Szymon Hołownia von der christdemokratischen Polska 2050 (8,6 Prozent). Danach folgen die beiden Kandidaten der Linken Magdalena Biejat (6,3 Prozent), die sich dazu entschieden hat, innerhalb der Regierungskoalition Politik zu machen, und Adrian Zandberg (5,4 Prozent), der es vorzieht, weiterhin die Oppositionsbank zu drücken und die demokratischen Parteien scharf zu kritisieren.

Insgesamt haben sich 13 Polen und Polinnen mit jeweils 100.000 Unterschriften für die erste Runde der Präsidentschaftswahlen qualifiziert, doch die meisten sind mit 2 bis 3 Prozent Wählerzustimmung völlig chancenlos, in die zweite Runde am 6. Juni zu kommen. Erst dann, in der Stichwahl, wird sich entscheiden, wer in den Präsidentenpalast nahe der Warschauer Altstadt einziehen wird.

Laut polnischer Verfassung besteht die Rolle des Staatspräsidenten vor allem darin, Land und Leute nach außen und innen würdig zu vertreten. Zwar ist Polens Präsident Oberbefehlshaber der Armee und kann auch eigene Gesetzesinitiativen ins Parlament einbringen, doch seine wichtigsten Machtinstrumente sind das Veto, mit dem er jedes Gesetz zu Fall bringen kann, und die Weiterleitung von Gesetzen an das Verfassungstribunal, mit dem Gesetze ebenfalls verhindert werden können. Seit dem Regierungsantritt der Tusk-Koalition Ende 2023 machte Präsident Duda reichlich von seinem Vetorecht Gebrauch und blockierte damit weitgehend die Reformpolitik von Ministerpräsident Tusk. Dudas zweite Amtszeit endet nach insgesamt zehn Jahren am 6. August 2025. Ein drittes Mal kann er nicht kandidieren.

„Ich bin froh, dass Duda jetzt endlich gehen muss“, sagt ein 30-jähriger Pole bei einer spontanen Straßenumfrage in Warschau. „Wir brauchen einen Neuanfang. Mit Duda drehen wir uns nur noch im Kreis.“ Ob er schon wisse, wem er am Sonntag seine Stimme geben werde? „Ja, natürlich. Unserem Oberbürgermeister! Vor fünf Jahren bei den Präsidentschaftswahlen hat er den Sieg ja nur um Haaresbreite verpasst. Seitdem hat er sich auf das Präsidentenamt vorbereitet. Ich bin überzeugt, dass er der beste Kandidat ist“, ruft er gegen den Baulärm auf der Straße an.

„Ich werde in der ersten Runde Magdalena Biejat von den Linken wählen, obwohl ich weiß, dass sie nicht weiterkommen wird“, bekennt eine junge Mutter mit Baby im Kinderwagen. „Sie kämpft für uns Frauen. Das muss man irgendwie belohnen. Ich hoffe, andere Wählerinnen denken wie ich“, sagt sie, nimmt das Kind auf den Arm und verschwindet in der Bäckerei.

Die meisten Polen sind von der schieren Masse an Informationen völlig überfordert

„Ich interessiere mich nicht mehr für Politik“, winkt ein älterer Mann vor dem Kebab-Imbiss ab. „Wenn ich überhaupt wählen gehe am Sonntag, dann stimme ich für Nawrocki, also für die PiS. Wie eigentlich immer.“ Ob Nawrocki tatsächlich einem Rentner die kleine Wohnung abgeluchst habe, ohne sich dann – wie versprochen – bis ans Lebensende um den Rentner zu kümmern, wisse man nicht genau. „Die einen sagen so, die anderen so. Wem soll man da glauben?“, zuckt er ratlos die Schultern.

Zwar hat jeder der 13 Kandidaten ein mehr oder weniger ausgebautes Wahlprogramm, doch die meisten Polen sind von der schieren Masse an Informationen völlig überfordert. Dazu kommen Millionen Fake News im Internet, viel Hass, rechter wie linker Radikalismus und dreiste Lügen vieler Kandidaten. In den „guten alten Zeiten“ sorgten Wahlschnellgerichte dafür, dass die „alternativen Wahrheiten“ rasch entlarvt und die Politiker ermahnt oder auch zu Geldbußen verurteilt wurden. Heute sind die polnischen Gerichte außerstande, eine Faktenbasis zu garantieren, die den informierten Bürgerinnen und Bürgern überhaupt eine abgewogene Wahlentscheidung ermöglicht.

Immerhin gelang es der Koalition von Tusk, den in der PiS-Regierungszeit zu einer Parteipropagandaschleuder verkommenen öffentlich-rechtlichen Rundfunk wieder in den Dienst der Mediendemokratie zu stellen. Die große TVP-Wahldebatte mit allen 13 Kandidaten verfolgten am Montagabend rund 6,5 Millionen Menschen auf acht Fernsehkanälen. Wer wollte, konnte sich also kurz vor den Wahlen am Sonntag noch einen guten Überblick verschaffen.

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