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Auf SeetangsafariSie schwärmen von essbaren Algen

Algen erobern die Küche. Doch wie schmecken sie am besten? Zu Besuch in Norwegen und bei einer Algenmanufaktur auf den Lofoten.

Auch wenn es nicht so aussieht: hier wird eine Delikatesse geerntet Foto: Arni Corlado

BERGEN/LOFOTEN taz | Als das Schiff in den Hafen an der Südwestküste Norwegens einfährt, meldet sich der Kapitän per Lautsprecher: „Wir sind in Bergen, und das, obwohl es heute gar nicht regnet.“ Die Vorzeichen stehen daher gut für das zweite Bergener Sjømatfestival, das Meeresfrüchtefestival. Eine Woche lang liegt der Fokus auf allem, was aus dem Meer kommt und essbar ist: Fisch, Schalentiere, Muscheln – und Algen natürlich. An denen kommt niemand mehr vorbei.

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Weltweit gibt es inzwischen mehrere Algen-Konferenzen, letztes Jahr etwa in Spanien und Tasmanien; in Trondheim treffen sich regelmäßig AlgenexpertInnen. Und ob bei der Fraunhofer-Gesellschaft, bei der EU, beim Zukunftsinstitut, im BR, der Vogue: den Algen, so sind sich alle einig, gehört die Zukunft.

Und da das auch für Kinder gilt, gibt es beim Sjømatfestival neben einem Krabbenpulwettbewerb und einem Wettkochen für das beste Plukkfisk (die norwegische Hausmannskost aus Kabeljau, Stampfkartoffeln und weißer Soße) auch eine Seetangsafari für den norwegischen Nachwuchs.

Treffpunkt dafür ist der Strand von Nordnes, einer Halbinsel im Stadtzentrum von Bergen. In wetterfester Outdoormontur hockt Arne Duinker wenige Meter von der schäumenden Gischt auf Steinen. Vor ihm steht ein Campingkocher und ein Eimer voll mit Algen. Im Kreis um ihn sind eine Handvoll Vier- bis Sechsjähriger mit Gummistiefeln, großen Augen, Geschirr und Besteck versammelt.

Salzig, würzig und wie Tee

Duinker, promovierter Mitarbeiter am Institut für Meeresforschung in Bergen, erklärt, dass man Algen am besten direkt von der Pflanze abschneidet, und zwar mindestens knietief im Wasser. „Dort sind sie frisch.“ Die Kinder sehen sich um – ist nicht der halbe Strand von Algen bedeckt? „Die könnte man auch essen“, sagt Duinker. Aber da wisse man eben nicht, wann genau die angespült wurden und wo sie gewachsen sind. Und da Algen Schadstoffe speichern, sollte man lieber keine essen, die in der Einfahrtschneise für Fracht- und Personendampfer gewachsen sind.

Arne Duinker will den Kindern zeigen, wie man Algenchips herstellt. Als Vater, der er ist, weiß er, dass er ein kritisches Publikum vor sich hat. „In einer Gruppe von Kindern gibt es immer zwei Typen, die Neugierigen und die Zurückhaltenden“, sagt er. Sein Trick: „Ich gebe den Aufgeschlosseneren zuerst zu probieren, so kriegt man meistens auch die anderen.“

Für die Algenchips wringt Arne Duinker Zuckertang aus, eine Braunalge mit großen lamellenartigen Blättern, die sich vielfältig zubereiten lässt. Den Geschmack beschreibt er den Kindern als salzig, würzig und wie Tee. „Davon kann man auch Stücke abschneiden und zum Beispiel Fisch, Zitrone oder Zwiebeln einwickeln und braten“, sagt er. So bleibe der Fisch saftig und bekomme eine Uma­mi-Note.

Dann gießt Duinker großzügig Pflanzenöl in eine Pfanne und röstet beide Seiten des Zuckertangs scharf an – fertig. Anders als bei Kartoffelchips braucht es praktischerweise nicht mal Salz. Während manches Kind noch skeptisch riecht, greift eines mutig in die Schüssel und stopft sich eine Handvoll Chips in den Mund. Insgesamt urteilt die junge Jury wohlwollend, Nachschlag ist erwünscht.

Auch auf einem provisorischen Stand am Bergener Fischmarkt, nur ein paar Schritte vom Meer entfernt, finden sich verzehrbare Algen, hier in kleinen Schraubgläsern. Die Gewürzmischungen von Sjøsaker (auf Deutsch etwa: „Seemüse“) sollen eine Alternative zu herkömmlichen Geschmacksverstärkern sein. Es gibt die bekannten Geschmacksrichtungen aus dem Supermarktregal – Pizza, BBQ, Taco oder Garam Masala – bloß eben in gesund und auf Algenbasis. Eine davon ist die feingliedrige, rötliche Pinselbüschelalge, die auch „Trüffelalge“ genannt wird. Mineralisch und erdig schmeckt sie, ein bisschen nach Shiitake, mit einer Idee von Pu-Erh-Tee.

Auch Sjøsaker hat sich von Arne Duinker beraten lassen und die Gewürzmischungen im intensiven Austausch mit ihm entwickelt. Schon seit rund 20 Jahren arbeitet Duinker mit Foodies und Küchenchefs zusammen. Er erzählt, wie Sternekoch Nicolai Nørregaard, ein bedeutender Vertreter der Nordic Cuisine, vor einigen Jahren an einem seiner Kurse teilgenommen habe. „Der sagte mir: Ich habe alles ausprobiert, was du mir beigebracht hast. Aber was mich jetzt noch interessiert, ist die Trüffelalge.“

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Duinker noch nie von dieser Alge gehört, also begann er zu recherchieren. „Tatsächlich war das meine erste Trüffelerfahrung“, sagt er. „Als ich dann mal echtes Trüffelöl probiert habe, fand ich es zu bitter.“

Eine zweitägige Schiffsreise von Bergen entfernt, in den nordnorwegischen Lofoten, sitzt die Algenmanufaktur „Lofoten Seaweed“. Seit 2016 stellen Angelita Eriksen und Tamara Singer hier Gewürzmischungen, getrocknetes Meeresgemüse und Algenseife her. Ihre Produkte wurden schon mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Unter den rund 450 Algenarten, die in Norwegen wachsen, werden hier vor allem sechs verarbeitet: Zuckertang, Flügeltang, Lappentang, Fingertang, Trüffeltang und Nabel-Purpurtang.

Ernte im Neoprenanzug

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Wo Arne Duinker auf kindgerechtes Erklären baut, haben Eriksen und Singer Instagram-gerechtes Storytelling parat; ihnen würde man in ihrer Wort- und Bildgewalt auch einen tief in der Arktis gelagerten Gin mit fermentierter Alge abkaufen.

Während die norwegische Fischerstochter Angelita Eriksen mit dem Schneiden von Kabeljauzungen und dem Auslegen von Langleinen aufwuchs, lernte die Neuseeländerin Tamara Singer den kulinarischen Umgang mit Algen früh von ihrer japanischen Mutter.

An der zerklüfteten Küste hundert Meilen nördlich des Polarkreises kann man den beiden beim Ernten zusehen. In Neoprenanzügen und Wollmützen, mit Messern und einem Plastiksieb in der Hand, stehen Eriksen und Singer im Wasser, das ihnen mitunter bis zu den Hüften reicht, und schneiden Algen ab. „Immer oberhalb der geschlechtszellbildenden Organe, sodass sie sich schnell wieder reproduzieren können“, sagt Eriksen.

Man muss in Sachen Algen eben das Mindset ein wenig anpassen.

Arne Duinker, Meeresforscher

Danach werden die immer noch über einen Meter langen Algenblätter getrocknet, zerkleinert, zu Gewürzmischungen verarbeitet und an High-End-Küchen, Feinkosthändler oder die Kantinen auf Personenschiffen geliefert. In der Küche ihres Ladens auf den Lofoten können Gäste ihre Kreationen ebenfalls kosten, etwa Kartoffel-Blini mit Sour Cream und Algenperlen. Letztere erinnern an Feuchtigkeitskapseln aus dem Drogeriemarkt, die straffe Haut versprechen.

Auch Arne Duinker argumentiert gerne mit der pflegenden Wirkung von Algen, um Neulinge von ihnen zu überzeugen. „Viele denken erst mal, dass Algen glitschig und eklig sind. Dann erwähne ich, dass sehr viele Kosmetika Algen enthalten und wie gesund sie für Mensch und Umwelt generell sind“, sagt er. „Gerade der kosmetische Aspekt gefällt vielen, da reibt sich schon auch mal wer eine Alge übers Gesicht. Und plötzlich fällt aller Ekel. Man muss eben das Mindset ein wenig anpassen.“

Sieht fast aus wie Lakritz und soll auch so schmecken Foto: Kristioffer Loretzen

Zu Hause kocht er regelmäßig mit Algen und probiert immer wieder etwas Neues. „Letzten Sommer habe ich Karamell mit Zucker- und Lappentang gemacht, das war gut“, sagt Duinker. „Das schmeckt dann nach Anis und Lakritze. Und es kitzelt ein bisschen.“

Und was ist Arne Duinkers persönliches Algenhighlight in der Küche? Lappentang in Soja-Zitronen-Zucker, denn so kommt das Umami in voller Weise zum Tragen. Dazu passt Thunfisch, aber auch Fleisch. „Jedes Mal, wenn ich Fleisch koche, mariniere ich es in Algen“, sagt Duinker. „Wenn man das ein paar Mal gemacht hat, geht es nicht mehr ohne. Es ist eine geschmacklich so einnehmende kulinarische Einbahnstraße.“

Transparenzhinweis: Die Recherche wurde unterstützt von Visit Norway und Hurtigruten.

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