■ Standbild: Auf Leben und Tod
„Europa sehen und sterben“, Di., 23.05 Uhr, Sat.1
Alex, ein Typ mit Pferdeschwanz und Handy, lächelt zufrieden. An der Strandpromenade von Colombo fädelt er mit seinen Moskauer Partnern eine neue Großbestellung von Visa ein – „very fast!“ Bei dem Deal geht es um bis zu 10.000 Dollar – und des öfteren um Leben und Tod. Menschenschmuggler Alex organisierte auch den Transit von 36 Srilankern, von denen 18 im Juli qualvoll bei 90 Grad Hitze in einem Stahlcontainer an der ungarisch-österreichischen Grenze erstickten.
Die Spiegel-Reporter Christian Krönes und Florian Weigensamer recherchierten die Hintergründe der Tragödie. Abseits der üblichen „political correctness“, in der lediglich die Flüchtlinge (Opfer) und die Politiker (Bösewichte) vorkommen, zeigte diese Reportage den ganzen Rest der Asyl-Tragödie. Sie dokumentierten mit drastischen Fotos den nunmehr seit zwölf Jahren währenden Bürgerkrieg in Sri Lanka, der das Ende der Diktatur 1993 überdauerte. Hunderttausende fliehen noch immer vor Militäroperationen. Dilbruks einer Bruder wurde von Regierungssoldaten ermordet, der andere ist untergetaucht. Seine Mutter sparte sechs Jahre, um ihn außer Landes bringen zu lassen. Dilbruk überlebte im Container – und will es noch einmal versuchen.
Ob er nun „Wirtschaftsflüchtling“ oder „politisch verfolgt“ ist – die Kriterien beginnen, absurd zu werden. Alex sagt, die meisten wollten im Ausland „mehr verdienen“. So widmet sich der Film auch der bislang kaum dokumentierten Drahtzieherszene. In Colombo gibt es einen Boom sogenannter „Arbeitsvermittler“. Die Manager, „brillant beringte Wohltäter“, wecken unerfüllbare Wünsche, verlocken zu tödlichen Reisen. „Sie reden von Europa und zeigen schöne Fotos“, erinnerte sich der Vater des toten Fernando.
Wie skrupellos das Transit- Busineß organisiert ist, merken die Auswanderer erst nach der Landung in Moskau. Oft werden sie dort Monate hingehalten. Geht das Geld aus, bleibt nur die „lebensgefährliche Economy- Variante im Stahlcontainer“. Busreisende im Gepäckdeck kriegen Masken, damit sie bei Kontrollen mit Gas nicht erwischt werden. Konsequent skizzierte die Reportage auch die marktwirtschaftliche Seite des Asyl-Elends: Die Schaffung von Nachfrage „mit klebrig-süßen Klischees der westlichen Zivilisation“. Dieter Deul
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