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■ Auf AugenhöheStraßenkampf in Zeiten der Demokratie

Dies gleich vorweg: Demokratie ist mühsam, Geschichte kompliziert, Geld mächtig. Das lernten diese Woche mal wieder die Anwohner der Strausberger Straße in Berlin-Friedrichshain. In der örtlichen Tristesse hatten Schüler des Erich-Fried-Gymnasiums im März vergangenen Jahres nämlich eine Idee: Sie wollten die gesichtslose Straße, an der ihre Schule liegt, nach Ernst Zinna nennen.

Zinna war ein 17jähriger Lehrling, der im März 1848 auf einer Barrikade für die Demokratie und vielleicht auch für soziale Gerechtigkeit starb. Die Schüler fanden Zinnas Einsatz vorbildlich und forschten über ihn, verteilten Broschüren, um für die Umbenennung zu werben, erläuterten ihre Idee der Bezirksverordneten-Versammlung (BVV), luden alle zu einem „Kamingespräch“ (zu dem nur eine alte Dame kam) – bis die BVV das Bezirksamt aufforderte, den Umbennennungsprozeß zu starten. Diese Woche nun der Showdown, eine Einwohnerversammlung. Geladen hatte das Bezirksamt.

Der Bündnisgrüne schoß zuerst: Wir waren immer gegen die Umbenennung; Straßennamen sind Stadtgeschichte und behutsam zu behandeln; man sollte eine historische Erinnerung nicht durch eine andere ausradieren; nimmt doch eine Straße, die noch keine große Geschichte hat, etwa die an der Brauerei; 250 Postkarten zur Frage haben wir an Anwohner verteilt, 78 reagierten, nur eine für Zinna.

Die politischen Gegner parierten: Die Postkarten enthielten Suggestivfragen; die Straße an der Brauerei sei jämmerlich; solche demokratische Initiative der Schüler sei – wie 1848 – zu unterstützen.

Die Anwohner konterten: Wir haben zu spät davon erfahren; alles zuviel Aufwand für uns; Zinna wurde schon in der DDR als Held instrumentalisiert; wir haben nach der Wende schon genug Umbenennungen mitgemacht; wo ist überhaupt die Plakette an Zinnas Geburtshaus in Mitte geblieben?

Die Bezirksvertreter blieben in Deckung: Die Strausberger führt, verlängert, auf den Friedhof der Märzgefallenen; neue Schilder kosten nur 600 Mark; sie und die Schüler wollten bei Adressenänderungen helfen.

Dann der Unternehmer, tödlich: Seinem Betrieb koste die Umstellung mehrere tausend Mark; der „Kiezcharakter“ gehe flöten, er werde Anti-Zinna-Unterschriften sammeln – schließlich, nur zu den Schülern: Es könnte eine Spende geben für eine Statue Zinnas, wenn allein die Schule, nicht die Straße nach dem Helden benannt würde.

Schon klar: Demokratie ist mühsam und Geschichte kompliziert – aber wie mächtig ist Geld?! Philipp Gessler

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