: Attali vom Chefsessel getrennt
Der skandalumwitterte Präsident der Osteuropa-Bank ist gestern zurückgetreten – bevor er geschaßt wurde ■ Aus Budapest und London Keno Verseck und Kathrin Singer
Eigentlich wäre es Jacques Attali nicht zuzutrauen gewesen. Doch dann siegte offenbar seine Eitelkeit über die schon fast penetrant zu nennende Weise, mit der er am Chefsessel klebte. Gestern gab der skandalbeladende Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), kurz Osteuropabank, in London seinen Rücktritt bekannt. Attali ist damit einer wahrscheinlichen – und für ihn äußerst schmählichen – Absetzung zuvorgekommen.
Vordergründig führte der 49jährige Franzose und einstige Mitterrand-Berater, der zur Presse ein berühmt-berüchtigt explosives Verhältnis unterhielt, ihre pausenlosen Angriffe auf ihn als Rücktrittsgrund an. So deckte die Financial Times in ihrer gestrigen Ausgabe auf, daß Attali sich eine Flugreise nach Tokio zweimal bezahlen ließ und zudem ein Honorar von 30.000 US-Dollar einstrich, daß er nach den Regeln der Bank gar nicht hätte annehmen dürfen.
Außerdem fürchtete Attali wohl eine bevorstehende Untersuchung über das Finanzgebahren der Osteuropabank, die Anfang Juli abgeschlossen werden soll. Bereits Mitte April war in der Financial Times ein ganzseitiger Bericht erschienen, der akribisch vorrechnete, daß die Eigenausgaben der EBWE doppelt so hoch lagen wie die Kredite, die sie bis dahin an osteuropäische Länder ausgezahlt hatte. Attalis Antwort darauf lautete lapidar, es seien Kredite in Höhe von 3,9 Milliarden US-Dollar zugesagt worden. Die langsame Auszahlungspraxis sei nur ein Ausdruck von Vorsicht.
„Ich weiß von keiner Handlung, die man mir vorwerfen könnte“, wand sich Attali in seinem Rücktrittsgesuch an die amtierende Gouverneursrats-Vorsitzende, die schwedische Finanzministerin Anne Wibble. „Unglücklicherweise hat die Aufmerksamkeit (der Presse/d. Red.) begonnen, zerstörerische Auswirkungen auf die Arbeit der Bank zu zeigen“, begründete er seinen Rücktritt.
Attali, der von der Presse bisweilen als „Sonnenkönig“ tituliert worden ist, wurde letztlich das Opfer seines selbstherrlichen Stiles. Der in Algier geborene Sohn eines jüdischen Parfümhändlers hatte drei französische Eliteschulen besucht und promovierte in Wirtschatswissenschaften. 1981 machte ihn Mitterrand zu seinem persönlichen Berater. Daß er einst den Bruch mit dem Kapitalismus und die Nationalisierung der Banken gefordert hatte, hinderte ihn nicht, 1989 die Idee zur Osteuropabank zu präsentieren – natürlich mit sich selbst als Präsidenten. Nebenbei schrieb der Mann, der Gerüchten zufolge mit vier Stunden Schlaf pro Nacht auskommt, 16 Bücher, von denen sein neuestes in Frankreich einen Skandal ausgelöst hat. Der einstige Bergbauingenieur, der bislang als verschwiegen galt, was seine Zeit als Mitterrand-Berater anging, breitet darin brisanten Klatsch aus.
Als Präsident der Osteuropabank bevorzugte Attali, mit zugespitzten Visionen aufzuwarten. In Osteuropa beschwor er die Alternative „Marktwirtschaft oder Mafia“ und schlug vor, den „Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe“ als Zahlungsunion neu aufzulegen. Vor allem aber liebte er es, sich und seine Bank als Schöpfer eines neuen Vereinten Europas zu präsentieren.
Der Plan zur Umstrukturierung der Osteuropabank, den er Anfang Juni ausgearbeitet hatte, bescherte ihm schließlich den Absturz. Mit der Einsetzung eines Vizevorsitzenden, mit dem Attalis Macht eingeschränkt worden, er aber weiterhin Präsident geblieben wäre, wollte er amerikanischen Bestrebungen nach seiner Absetzung zuvorkommen. Die Vereinigten Staaten hatten sogar gedroht, der EBWE in Zukunft die Zahlungen zu verweigern.
Die Umgestaltung der beiden bisher weitgehend unabhängig arbeitenden Handels- und Entwicklungsbank-Abteilungen in drei Osteuropa-Regionalabteilungen, deren Chef der US-Amerikaner Ernest Stern hätte werden sollen, hätte gleichzeitig Attalis bankinterne Kritiker ausgeschaltet – wogegen die sich gegenüber den Finanziers wehrten. Und Stern, der als eher langweiliger Prototyp des hervorragenden Angestellten einer Internationalen Organisation gilt, hätte Attalis hochfliegende Pläne kaum gestört.
In der Bank wird Attali zunächst die Geschäfte weiterführen. In den Korridoren der EBWE waren gestern Henning Christoffersen, Finanzkommissar der EG- Kommission, und auch der schwedische Chef der bankinternen Rechnungsprüfungsgruppe, Claes de Neergaard im Gespräch. Die EG-Länder, die 51 Prozent der EBWE-Anteile halten, werden in jedem Fall darauf dringen, daß sie den Präsidenten bestimmen. So wurden gestern vor allem englische und französische Namen gehandelt, aber auch der ehemalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl ist im Gespräch.
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