Attacke vor Synagoge in Hamburg: Hass trifft nicht willkürlich
Dass die Hamburger Staatsanwaltschaft das politische Motiv bei der Attacke vor der Synagoge beiseite schiebt ist bedenklich – aber nicht überraschend.

D er Abschluss der Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft zur Attacke vor der Synagoge im vorigen Oktober ist ernüchternd. Dass ein politisches Tatmotiv, ein antisemitisches nämlich, beiseite gerückt wird, ist nicht verständlich.
Der Tatverdächtige mag krank sein, ja. Aber der Judenhass, der sich in der Tat manifestierte, entsteht nicht aus einer Erkrankung heraus, sondern aus gesellschaftlichen Diskursen. Die finden in den Medien, im persönlichen Austausch statt – und im Internet. Dort ist der Diskurs über Jüd:innen als Feindbild virulent. Er wird von Menschen aufgegriffen und daraus folgen Taten – ob in Halle, Hamburg oder Wien.
Der mutmaßliche Täter hat nicht Hass auf eine willkürlich gewählte Menschengruppe entwickelt. Dieser Hass verteilt sich nicht gleichmäßig über die sozialen Gruppen, er ist nicht zufällig. Es ist deshalb fragwürdig, dass die Staatsanwaltschaft – die psychische Erkrankung hin oder her – diesen Umstand ignoriert.
Wenn man aber den gesellschaftlichen Hintergrund einer solchen Tat ignoriert, ist das Signal aus dem Ermittlungsergebnis: Es hätte Jüd:innen treffen können oder auch alte, weiße Männer – je nachdem eben, was eine individuelle psychische Erkrankung so verursacht.
Wie auch bei vorhergehenden Prozessen wegen antisemitischer Taten ist deshalb nicht zu erwarten, dass beim anstehenden Prozess die politische Sozialisierung des Täters breit erörtert werden wird. Dabei wäre gerade das ein sichtbares, konkretes Signal des Staates, dass er es mit Antisemitismus wirklich ernst meint.
Hinzu kommt: Das Ermittlungsergebnis stellt, ob gewollt oder nicht, Menschen, die an einer psychischen Krankheit leiden, als besonders gefährlich dar und stigmatisiert sie auf diese Weise. Aber warum sollte das Vorliegen einer psychischen Erkrankung – die haben Millionen andere Menschen auch – erklären, warum es jemand gerade auf Jüd:innen abgesehen hat? Nur um über Antisemitismus nicht reden zu müssen? Das wäre nichts Neues.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Nichtwähler*innen
Ohne Stimme