: Atomstrom zu Phantasiepreisen
■ Kritische Aktionäre werfen den Hamburgischen Electricitätswerken Bilanztricks vor
Die beiden Dinosaurier unter den norddeutschen Atomkraftwerken, Brunsbüttel und Stade, arbeiten unwirtschaftlich. Der günstige Strompreis von 98 Pfennig pro Kilowattstunde, zu dem die AKW-Betreiberin Hamburgische Electricitätswerke (HEW) nach eigenen Angaben ihren Strom intern von ihren Kraftwerkstöchtern kauft, ist offenbar subventioniert. Diesen Vorwurf erhob gestern die atomkritische Aktionärsgemeinschaft AIDA.
Die „angeblich günstigen Kosten für Atomstrom in Brunsbüttel“, so AIDA-Sprecher Paul Grosse-Wiesmann, „beruhen auf internen Bilanzierungen und haben nichts mit den weiteren Kosten des Betriebs zu tun“. Tatsächlich koste die Kilowattstunde Atomstrom sechsmal soviel wie von den HEW behauptet. Das gehe aus den Geschäftsberichten der Atomkraftwerke der vergangenen zehn Jahre hervor, die AIDA analysierte.
Die kritischen Aktionäre fordern Vorstand und Aufsichtsrat der HEW auf, angesichts dieser „Unwirtschaftlichkeit“ entsprechend der HEW-Satzung den Atomausstieg zu verwirklichen und „umgehend“ in Moorburg ein kostengünstiges Gas- und Dampfturbinenkraftwerk zu errichten. Die HEW reagierten gestern gelassen: Er sehe „keine Veranlassung, in spekulative Rechnungen von AIDA einzusteigen“, so Sprecher Johannes Altmeppen. Die HEW würden dem Senat, der ein Wirtschaftlichkeitsgutachten der AKWs in Auftrag geben will, alle erforderlichen Daten zur Verfügung stellen. Ansonsten jedoch würden „keine Detailzahlen öffentlich freigegeben“.
Zuletzt auf der HEW-Hauptversammlung am 24. Juni hatte HEW-Chef Manfred Timm den niedrigen Strompreis von 98 Pfennig im Jahr 1997 als Argument für die Konkurrenzfähigkeit des umstrittenen Meilers Brunsbüttel angeführt. Zum Vergleich: Der Strom aus Gas- und Dampfturbinenkraftwerken kostet zwischen vier und sechs Pfennig.
Doch dieser Vergleich, so Grosse-Wiesmann, hinke: Die HEW hätten schlicht in ihren Bilanzen getrickst. Um trotz rückläufigen Stromgeschäfts und gestiegener Ausgaben in den AKWs einen höheren Gewinn ausschütten zu können, seien Rückstellungen für Atommüll, die in den Jahren zuvor gebildet worden waren, „in dreistelliger Millionenhöhe“ aufgelöst worden. Aus dem Verkauf von Wertpapieren seien dann die „hohen laufenden Betriebskosten“ in den AKWs bestritten worden. Nur so habe der in der Herstellung teure Atomstrom zum internen „Phantasiepreis“ von 0,98 Pfennig pro Kilowattstunde verkauft werden können. Ein Bilanzverfahren, das „steuerlich fragwürdig“ sei, und das AIDA als „Irreführung“ der Aktionäre bewertet.
Stutzig geworden war AIDA wegen der extremen Schwankungen beim Umsatz des AKW Brunsbüttel: War dieser 1996 noch mit 466,6 Millionen Mark veranschlagt, so beläuft sich der Umsatz laut Geschäftsbericht 1997 auf nur noch 50,2 Millionen Mark. Die Umsätze aber, so Grosse-Wiesmann, bestimmen den Strompreis. AIDA rechnete nach – und veranschlagte Brennstoff-, Betriebs- und Wartungskosten, nicht jedoch die Abschreibungen für die immensen Kapitalkosten. Ergebnis: Plötzlich waren die Stromkosten sechsmal so hoch wie laut HEW.
Heike Haarhoff
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