Atommüll teurer als geplant: Millionen für die Atomsuppe
Die Entsorgung des Strahlenschrotts der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe wird wohl 250 Millionen Euro teurer als geplant. Die Industrie ist fein raus. Der Castor startet.
Berlin taz | Flüssig ist die Suppe nicht mehr, aber teuer: Fünf Castoren mit 56 Tonnen Glaskugeln sollen am Dienstagabend von Karlsruhe in das Zwischenlager Nord in der Nähe von Lubmin bei Greifswald starten. In den Glaskugeln gebunden ist eine hochradioaktive Atomsuppe aus der ehemaligen Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe. Deren Entsorgung wird die öffentliche Hand aller Wahrscheinlichkeit nach 250 Millionen Euro mehr kosten als bisher angenommen. Das ergab die Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen an die Bundesregierung, die der taz vorliegt.
Schuld daran ist die unendliche Geschichte des Schachts Konrad. Das stillgelegte Eisenerz-Bergwerk im niedersächsischen Salzgitter hätte bis 2014 zum Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle ausgebaut werden und die Glaskokillen aus Karlsruhe aufnehmen sollen. Doch die Inbetriebnahme wird sich wahrscheinlich bis 2019 verzögern. Aber bisher gibt es noch keine Baugenehmigung. Bereits im vergangenen Jahr befürchtete deshalb die bundeseigene Entsorgungsfirma Energiewerke Nord, dass 1 Milliarde Euro an zusätzlichen Kosten anfallen, die Hälfte für die Industrie. Von den 500 Millionen für die öffentliche Hand entfallen 250 Millionen auf die Karlsruher Atomkügelchen. Die Kosten entstehen, weil der Atommüll länger in Zwischenlagern bleiben muss.
Die Industrie hat sich schon vor Jahren von jeder Verantwortung für den Müll in Karlsruhe entbunden. Zwischen 1971 und der Stilllegung der Versuchsanlage 1990 entstanden 60.000 Kubikmeter hochradioaktiver Flüssigabfälle. Danach einigten sich Bund, Land, die Betreiberfirmen und die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK), die Anlage zu entsorgen. Hinter der DWK steckten und stecken noch heute die Betreiber von Kernkraftwerken. Von denen stammt 30 Prozent des Mülls, der allerdings 70 Prozent der radioaktiven Strahlung absondert.
1991 gingen alle Beteiligten davon aus, bis 2003 werde die Wiederaufbereitungsanlage komplett abgebaut sein. Die deutsche Atomindustrie zahlte bis 1996 umgerechnet 512 Millionen Euro und ließ sich in Form der DWK vertraglich zusichern, damit aus dem Schneider zu sein. Die Risiken übernahm komplett die öffentliche Hand - und hat nun den Schlamassel. Allein bis heute ist der Rückbau mit 2,63 Milliarden Euro veranschlagt, plus die jetzt bekannt gewordenen Mehrkosten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn