Atomkraftwerk Philippsburg stillgelegt: KKP2 hat ausgestrahlt
Der letzte Reaktor in Baden wurde nach 35 Betriebsjahren abgeschaltet. Er hinterlässt 951 Tonnen Schwermetall aus Brennelementen.
Am Silvesterabend kurz vor 19 Uhr wurde er nach 35 Dienstjahren in den Ruhestand verabschiedet: der Atomreaktor Philippsburg 2 im Landkreis Karlsruhe, in der Branche kurz KKP 2 genannt. Er war der letzte noch verbliebene Reaktor in Baden und hatte seit der Abschaltung seines Kollegen KKP 1 im Jahr 2011 am Standort immer etwas einsam gewirkt.
Trotzdem schied er nicht freiwillig aus dem Dienst. Er musste gehen, weil seine Arbeit in Deutschland nur mehr wenig Akzeptanz fand, seit Reaktoren in der Ukraine 1986 und in Japan 2011 außer Kontrolle geraten waren und in ihrer Umgebung erhebliche Strahlenschäden verursacht hatten.
KKP 2 hatte die Bürger stets polarisiert. Die einen lobten seine Schwerstarbeit, denn immerhin erzeugte er ein Sechstel des Stroms, den Baden-Württemberg verbraucht. Andererseits wurden erhebliche Sicherheitsdefizite bekannt. Im Jahr 2001 etwa konstatierte die regionale Presse nach fortwährenden Versäumnissen der Betriebsmannschaft „17 Jahre Pfusch im AKW“.
Der damalige Umweltminister Jürgen Trittin äußerte gar „ernsthafte Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers“. Greenpeace spottete (ganz im Design einer Imagekampagne des Landes Baden-Württemberg): „Wir können alles. Außer AKWs betreiben.“
Atomkraftgegner sehnten die Abschaltung folglich herbei und feierten bereits zwei Tage zuvor am Standort ein Abschaltfest. Doch nun steigen die Herausforderungen für die Übertragungsnetzbetreiber, die für die Stabilität des Stromsystems zuständig sind – schließlich war Strom in Süddeutschland schon zuvor oft knapp, anders als im Norden. Das Ländle, das seit Jahrzehnten ein Stromimportland ist, wird nun im Jahr 2020 nur noch rund 70 Prozent seines Stroms selbst erzeugen.
Stromfresssender Stromproduzent
Energetisch betrachtet, lebte der Druckwasserreaktor KKP 2 auf großem Fuß. Von den 375 Milliarden Kilowattstunden, die er in seinen Dienstjahren in Summe erzeugte, brauchte er etwa 5 Prozent selbst, vor allem für Pumpen – was allerdings durchaus branchenüblich ist.
Während die EnBW die Anlage am Rhein nun eher unspektakulär in den Ruhestand schickte, hatten die Schweizer in Mühleberg kurz vor Weihnachten einen Reaktor mit einem Fest verabschiedet, das seinesgleichen sucht – mit einer Videoübertragung der letzten Betriebsminuten aus dem Kontrollraum, einem riesigen Festzelt auf dem Kraftwerksgelände und einem Großaufgebot an Medien, die live das Drücken der beiden Abschaltknöpfe übertrugen.
EnBW zeigte sich weniger festlich gesinnt, gab den genauen Abschaltzeitpunkt sogar erst acht Tage vor dem Termin bekannt. Das Unternehmen rechnet nun damit, dass zehn bis fünfzehn Jahre nötig sein werden, um die atomaren Hinterlassenschaften aufzuräumen.
Zurück bleiben werden nach Erhebungen des Fachportals Atommüllreport 951 Tonnen Schwermetall aus Brennelementen – das ist die nüchterne Umschreibung des Atommülls, der in 35 Betriebsjahren entstanden ist und nun Millionen von Jahren strahlen wird. An welchem Ort auch immer.
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