Atomenergie: Stromschlag für Vattenfall
Nach den Pannen in Vattenfall-AKWs wollen SPD, Linke, FDP und Grüne die Stromverträge fürs Land Berlin an andere Anbieter vergeben. Dem Konzern drohen Millionenverluste
Vattenfall könnte bald ein ganz besonderer Kunde abhanden kommen - das Land Berlin. Eine große Koalition aus SPD, Der Linken, FDP und Grünen überlegt, die Verträge für die Energieversorgung öffentlicher Gebäude an einen anderen Wettbewerber zu vergeben. "Angesichts der Vorfälle in den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel müssen wir ernsthaft prüfen, Konzerne, die Atomstrom produzieren, bei der Vergabe auszuschließen", sagte SPD-Umweltexperte Daniel Buchholz gestern. "Die großen Versorger haben leichtfertig Vertrauen verspielt."
Vattenfall beliefert das Land seit Anfang 2007 mit Energie, allein in diesem Jahr verdiente das Unternehmen damit 87 Millionen Euro. Damit könnte Ende 2009 Schluss sein, dann wird der Auftrag neu ausgeschrieben. "Wenn Vattenfall seine Geschäftspolitik nicht ändert, müssen wir uns einen neuen Stromanbieter suchen - die Politik muss ein Signal setzen", sagte auch Stefan Liebich, Vize-Fraktionschef Der Linken. Die Energie- und Umweltexperten von Grünen und FDP machten ähnliche Aussagen. Vattenfall steht seit Wochen wegen einer Pannenserie in Atomkraftwerken in der Kritik, die AKWs Krümmel und Brunsbüttel mussten abgeschaltet werden. "Das Land ist ein Großkunde, es kann seine Steuerungsmacht nutzen", so Liebich.
Im April 2006 bekam Vattenfall nach einer europaweiten Ausschreibung den Zuschlag für Berlins Stromdeal, zuvor hatten der Ökostromanbieter Lichtblick und eine belgische Firma die Hauptstadt versorgt. Vattenfall darf dem Land laut Parlamentsbeschluss keinen Atomstrom verkaufen, der Berliner Saft kommt vielmehr aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in der Stadt - die zwar Kohle und Gas verbrennen, aber einen sehr hohen Wirkungsgrad haben.
Nach den gefährlichen Pannen und angesichts der aktuellen energiepolitischen Diskussion reicht den Parlamentariern die Abmachung nicht mehr. "Bei Vattenfall sind Braunkohle und Kernenergie ein wichtiger Bestandteil der Strategie", sagt Henner Schmidt, Umweltfachmann der FDP, einer Partei, die bisher nicht gerade als Anti-Atom-Partei aufgefallen ist. "Man findet Anbieter, die umweltfreundlicher und billiger sind."
Ob die Willensbekundung, Atomkonzerne auszuschließen, Wirklichkeit wird, ist unklar - denn juristisch ist sie schwer umzusetzen. "Der Ausschluss ist bei einer Ausschreibung unzulässig, weil er gegen das Diskriminierungsverbot der EU verstößt", sagte Kristina Tschenett, die Sprecherin der Finanzverwaltung. Die Behörde formuliert die Stromlieferverträge, die die Wettbewerber erfüllen müssen.
Die rechtlichen Bedenken sind auch der Grund für die derzeitige absurde Situation: Die Koalition zitiert mit ihrer Forderung wörtlich ihren eigenen Koalitionsvertrag. "Berlin wird für die vom Land genutzten Gebäude nur mit Unternehmen Stromlieferungsverträge abschließen, die keinen Atomstrom produzieren", heißt es in dem Papier, das im November unterzeichnet wurde. Rot-Rot hat also eine Vereinbarung getroffen, die sie bis 2009 ständig bricht. SPD-Mann Buchholz sieht die Probleme seines Vorstoßes: "Faktisch schließt man mit einer solchen Formulierung alle großen europäischen Stromversorger aus." Dennoch wird es eng für Vattenfall. Für den grünen Energieexperten Michael Schäfer ist jetzt der Senat am Zug: "Er muss prüfen, wie das vergaberechtlich zu regeln ist."
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