Asyl: Yusef wartet auf eine Entscheidung
Oranienplatz-Besetzer Yusef ist jetzt in der Unterkunft in der Gürtelstraße. Genau wie andere Flüchtlinge hat er seine Erlebnisse in einem Kurzfilm festgehalten.
Jedes Mal, wenn ein Kleinbus vorbeifährt, rennt Yusef* ans offene Fenster und schaut hinunter auf die Friedrichshainer Gürtelstraße: „Nein, das war sie auch nicht.“ Der junge Mann aus Mali setzt sich wieder an den Tisch in dem Zimmer, das er sich mit drei anderen Männern teilt, und dreht sich eine Zigarette. Yusef wartet auf die BeraterInnen von Caritas und Diakonie, mit denen er über seinen „Fall“ sprechen kann. Seit einigen Wochen weiß er, dass sein Asylantrag in Sachsen-Anhalt abgelehnt wurde, seine Angst vor Abschiebung wächst von Tag zu Tag.
„Auf dem Oranienplatz war es besser“, sagt der 19-Jährige. „Es gab viele Leute, die uns halfen, und die Polizei ließ uns in Ruhe. Jetzt haben sie unsere Namen und Adresse und können uns einfach holen.“
Seit der Räumung des Oranienplatzes Anfang April lebt Yusef zusammen mit 104 anderen Männern des Protestcamps in einem ehemaligen Hostel. Die Zimmer sind eng belegt, aber sauber, es gibt einen Gemeinschaftsraum mit Fernseher, Kochmöglichkeiten, einen Computer mit Internetanschluss.
Dass Yusef dennoch der Freiheit nachtrauerte, die er auf dem O-Platz spürte, liegt vor allem daran, dass er den Politikern nicht über den Weg traut. „Der Senat hat uns Sprachkurse versprochen und Schutz vor Abschiebung. Und irgendwann vielleicht Aufenthalt und Arbeit. Aber er tut nichts – und wir bekommen währenddessen den Abschiebebescheid“, klagt er.
Tatsächlich ist von dem Abkommen, das der Senat im März mit den Protestlern vom Oranienplatz geschlossen hat, bislang wenig umgesetzt worden. Die Flüchtlinge haben ein Dach überm Kopf und bekommen Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Auch die zugesagten 15 BeraterInnen von Caritas und Diakonie gibt es, ein paar von ihnen kommen einmal die Woche in der Gürtelstraße vorbei. Bislang wissen die Berater allerdings nicht, was sie den Flüchtlingen raten sollen – weil der Senat nicht sagt, wie er verfahren will.
Etwa mit „Fällen“ wie Yusef: Wie viele andere Oranienplatz-Leute kam er über Lampedusa nach Europa. 2011 war das, als der libysche Bürgerkrieg ausbrach und tausende Gastarbeiter als vermeintliche Unterstützer des damaligen libyschen Diktators Gaddafi von den Aufständigen auf die Boote gezwungen wurden.
Kurz zuvor war Yusefs Vater, mit dem er als Kind nach Tripolis gegangen war, auf einer Baustelle gestorben. In Lampedusa bekam Yusef, wie so viele andere, „italienische Papiere“: eine Aufenthaltserlaubnis, die ihm erlaubt, durch Europa zu reisen – aber nur als Tourist und nur für drei Monate. Außer diesen Papieren gibt es in Italien nichts für Flüchtlinge – kein Obdach, kein Geld, keine Hilfe, keine Arbeit.
Also fuhr er per Mitfahrgelegenheit nach Deutschland, erzählt Yusef bei der x-ten Zigarette. Im Dezember 2012 kam er in Frankfurt am Main an und lebte dort mitten im Winter auf der Straße. Bis ihm jemand sagte, dass er Asyl beantragen müsse, um Unterstützung zu bekommen.
Yusef verschlug es in ein Asylbewerberheim im sachsen-anhaltischen Halberstadt, von dort nach Krumpa im Kreis Halle, eins der verschrien „Lager“ fernab jeder Zivilisation. „Nach zwei Monaten hielt ich es nicht mehr aus und ging nach Berlin. Ein Bekannter brachte mich zum Oranienplatz.“
Mit Wut im Bauch
Fast drei Monate nach dessen Räumung haben vorige Woche endlich die vom Senat zugesagten Einzelfallprüfungen begonnen. Diesen Mittwoch haben auch Yusef und ein paar andere aus dem Hostel einen Brief von der Ausländerbehörde bekommen, der sie zum Interview einlädt.
Laut Gesetz hat Berlin verschiedene Möglichkeiten, mit den Oranienplatz-Leuten umzugehen: Jene, die aus einem anderen Bundesland nach Berlin kamen, kann man gnadenlos dorthin „zurückführen“ – oder sich für sie zuständig erklären. Ist die hiesige Ausländerbehörde erst einmal zuständig, hat sie ebenfalls mehrere Optionen – je nach politischer Weisung von oben.
Sie kann die harte Linie fahren: Falls Italien oder ein anderes EU-Land formal zuständig ist, kann die Behörde die Flüchtlinge einfach abschieben. Oder aber sie spricht zunächst ein humanitäres Bleiberecht aus und prüft sorgsam und in aller Ruhe jede Fluchtgeschichte.
Wie die Berliner jetzt vorgehen wollen, weiß bislang niemand. Die Innenverwaltung von Senator Frank Henkel (CDU), die der Ausländerbehörde Weisung gibt, sagt nur, dass die Betroffenen „eine umfassende Prüfung der Einzelfallverfahren im Rahmen aller rechtlichen Möglichkeiten erhalten“. Was alles heißen kann – oder eben nichts.
Allerdings mehren sich die Hinweise, dass die Bürokraten die Gesetze nicht unbedingt zum Wohle der Flüchtlinge auslegen wollen. So saß ein Mann vom Oranienplatz wochenlang in Magdeburg in der JVA Volkstedt bei Eisleben in Abschiebehaft, weil er in Sachsen-Anhalt seine abgelaufene Duldung verlängern wollte – die Berliner Ausländerbehörde indes rührte keinen Finger, obwohl im Senatsabkommen ein vorläufiger Abschiebeschutz vereinbart wurde. Beinahe wäre der Mann vorigen Donnerstag nach Italien abgeschoben worden, nur ein Gerichtsurteil hat das verhindert.
Im fünften Stock des Friedrichshainer Hostels sitzt Ibrahim* auf seinem Bett, raucht und trinkt Tee. Der Mittdreißiger mit den kurzen Rastas ist offenbar einer der Wortführer in der Gürtelstraße: jemand, mit dem man über den Senat und Politik reden kann.
Mit kaum verhohlener Wut im Bauch analysiert Ibrahim die Lage: „Wir haben einen Vertrag mit dem Senat, aber immer mehr Leute haben Abschiebebescheide und können jeden Tag von der Polizei geschnappt werden.“ Er fordert, dass der Senat für sie alle „eine Lösung findet“. Und die könne nicht heißen, nach Italien abzuschieben: „Dann kommen wir mit dem nächsten Flug zurück. Ein Ticket Rom–Berlin kostet 30 Euro – und wir haben das Recht, hier zu sein!“
Yusef will wieder hinuntergehen, nachsehen, ob die BeraterInnen von Diakonie und Caritas inzwischen vielleicht angekommen sind. Er möchte reden, sagt er, seinen „Fall“ voranbringen. Vor ein paar Tagen hatte er ein erstes Gespräch mit seiner neuen Anwältin. Viel tun konnte sie allerdings auch nicht, erst einmal muss sie Yusefs Akten aus Sachsen-Anhalt anfordern. So lange bleibt dem Mann aus Mali nichts als – warten.
* Namen geändert
Über ihre Zeit auf dem Oranienplatz haben Yusef und vier andere Flüchtlinge Kurzfilme gedreht: Aus ihrer Perspektive erzählen sie von ihrer Lebensrealität in Berlin und von ihren Wünschen. Samstag, 21. Juni, 19 Uhr, im Ballhaus Naunynstraße in Kreuzberg. Mehr Informationen
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