: Asyl in der Wüste
Moslems in jüdischer Obhut: Kosovo-Albaner warten in einem israelischen Kibbuz auf das Ende des Krieges ■ Aus Kramim Susanne Knaul
Fatos klatscht begeistert in die Hände. Ein Junge aus seiner Mannschaft im Tischtennisturnier hat den Ball so angeschnitten, daß er für seinen Gegner unerreichbar ist. „Es sieht gut aus für uns“, sagt Fatos, 16, und spielt nervös mit einem Goldkettchen, das er um den Hals trägt. Rund 15 kosovo-albanischeJugendliche stehen mehr oder weniger engagiert um die Tischtennisplatte. Bis zum Mittagessen ist noch eine ganze Weile hin.
Zwei israelische Soldatinnen organisieren das Freizeitprogramm für die jungen moslemischen Flüchtlinge. Beschäftigungstherapie, um sie abzulenken von der Sorge um die zurückgebliebenen Freunde und Verwandten und vom Heimweh.
„Wir flüchten aus einem Krieg, um in einen anderen zu gehen?“, hatte Fatos seinen Vater gefragt, als er hörte, daß die Familie nach Israel gebracht wird. Und Israel hatte er sich außerdem ganz anders vorgestellt. Jetzt wohnt er seit gut zwei Wochen in der Wüste Negev.
Im Kibbuz Kramim gibt es schon Wiesen und Bäume, aber sobald man die landwirtschaftliche Kooperative verläßt, ist weit und breit nur Sand in Sicht. „Ich hätte nicht gedacht, daß wir in der Sahara landen“, lacht Fatos und setzt sich eine Mütze mit der Aufschrift „Jewish Agency For Israel“ verkehrtrum auf den Kopf.
Die nächste Stadt, Beerschewa, ist 15 Kilometer entfernt. Im Kibbuz selbst leben knapp 20 Familien; das Angebot von gleichaltrigen Ansprechpartnern ist damit gleich Null. „Es ist sehr schön hier“, lenkt Fatos dankbar ein. „Wir sind in Sicherheit.“ Ob er im Kosovo Gewalt erlebt habe? „Nein“, sagt er. Nur die Bilder „von den verlassenen Dörfern, von streunenden Hunden und den Kühen, die keiner mehr melkt“, gingen ihm nicht aus dem Kopf.
„Als ich mein Zimmer im Kibbuz sah, dachte ich daran, wie beengt wir im Flüchtlingslager Stenkovac in Makedonien gewohnt haben.“ Auch davor, in Pritina, mußte die fünfköpfige Familie in eineinhalb Zimmern leben, nachdem ihre Wohnung von Serben beschlagnahmt worden war.
In einer Woche soll der Hebräisch-Unterricht beginnen. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich hier in die Schule gehen soll“, sagt Fatos und ist sich ganz sicher, „bald wieder nach Hause zu fahren.“ Auch unter den erwachsenen Flüchtlingen herrscht nahezu einstimmiger Optimismus darüber, daß die Tage in Israel gezählt sind.
Dabei wissen die Kosovaren – 200 Vertriebene fanden im jüdischen Staat Aufnahme – hier nichts von der sich abzeichnenden Friedenslösung. Seit Wochen gibt es weder Kontakt zu den Zurückgebliebenen noch die Möglichkeit, Nachrichten zu hören. „Sie haben uns einen Satellitenschüssel gebracht, die ist aber noch nicht angeschlossen“, erklärt Fatos. Die Information von den Verhandlungen nimmt er beinahe gleichgültig auf. „Ich glaube es erst, wenn ich es sehe.“ Auch Fatos' um ein Jahr ältere Schwester Fitore zweifelt. Sie flüstert: „Inschallah“, arabisch für: „So Gott will“.
Fitore hatte sich kurz vor Kriegsausbruch in einen Schulkameraden verliebt. Die Begeisterung für Pingpong und Hebräischklassen haben vor lauter Sehnsucht nach ihm bei Fitore keinen Platz. Ihre Eltern wissen davon nichts. Ihr Vater sei „sehr konservativ“, sagt sie.
Dabei sind die kosovo-albanischen Moslems mehrheitlich nicht sonderlich religiös. Für die Fahrt zum Freitagsgebet in einer Moschee haben sich von den hundert Flüchtlingen im Kibbuz nur zwölf angemeldet. Bei den Ausflügen ans Tote Meer oder beim Besuch der benachbarten Beduinen ist die Nachfrage schon deutlich größer.
„Für mich spielt es keine Rolle, ob einer Moslem ist oder Jude“, sagt Fatos auf die Frage, ob er es nicht seltsam findet, ausgerechnet in Israel Asyl gefunden zu haben. Ob er sich vorstellen könne, in einem Kibbuz zu leben? „Warum nicht“, meint Fatos: „mit meinen Freunden im Kosovo.“ Das Prinzip des gemeinsamen Wirtschaftens gefällt ihm. Nur würde er lieber Computerfachmann werden, als in der Landwirtschaft zu arbeiten. „Eines Tages komme ich zu Besuch nach Israel, und dann wird es ein richtiger Spaß.“
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