Assange-Buch über Hackerszene der 90er: Des Hackers Menschwerdung
Der Tatsachenroman "Underground", mitverfasst von Julian Assange, gewährt seltene Einblicke in die bisher verschlossene australische Hackerszene der 90er Jahre.
Vom Spinner zum Erlöser - das Bild vom Hacker hat sich in den vergangenen Jahren rasant gewandelt. In den 80er und 90er Jahren noch Außenseiter, ist er für einen großen Teil der Öffentlichkeit inzwischen zu einer Art Messias geworden. Hacker helfen dem Bundesverfassungsgericht im Kampf gegen staatliche Überwachung, FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher preist Computerfreaks als die Schöpfer unserer Welt, und die "Matrix"-Trilogie speiste die Figur des Konsolencowboys als Retter vor einer allmachtshungrigen Obrigkeit millionenfach in die Köpfe. Und heute soll die Überhöhung weitergehen.
Denn heute erscheint ein Buch, welches wie kein zweites geeignet wäre, den Graphen der Jesus-Kurve noch weiter nach oben ausschlagen zu lassen - schließlich wurde es von Julian Assange mitverfasst, dem bekanntesten Gesicht der Enthüllungsplattform Wikileaks und Objekt einer teilweise kultischen Verehrung. "Underground" - die zusammen mit der Technikjournalistin Suelette Dreyfus geschriebene Abhandlung über die australische Hackerszene der 90er, vor 13 Jahren auf Englisch veröffentlicht - gibt es nun auch auf Deutsch. Es ist ein sogenanntes Kultbuch, in Papierform seit langem vergriffen, im Internet frei verfügbar und dort zehntausendfach heruntergeladen.
Die ideale Leinwand für die nächste Mythenprojektion also. Zumal die ursprünglich für Anfang April angekündigte Assange-Biografie nun wohl doch noch ein Weilchen auf sich warten lassen wird, angeblich - so sagen es Leute, die den Wikileaks-Kopf gut kennen, sei dieser mit dem Verlag uneins, ob es in seinem Werk eher um sein Leben oder seine Visionen für die Zukunft gehen soll. "Underground" stößt also in eine unverhoffte Lücke. Dreyfus hat noch einmal ein Vorwort geschrieben, in dem möglichst oft das Wort Wikileaks vorkommt und die These, wer Assange und seine Plattform verstehen wolle, müsse das hier mal lesen. Interessant ist das Buch jedoch aus einem anderen Grund: Es zeigt Hacker als Menschen.
Das junge Ich von Assange
Was soll es über das junge Ich von Assange auch zu lesen geben, was nicht schon in den vergangenen fünf Jahren bereits überall stand: das Umherreisen mit der Mutter in Kindertagen, ihre Flucht vor ihrem zweiten Mann und einer Sekte, Assanges Vaterschaft mit 18 Jahren. AutorInnen hatten schließlich lange Zeit, "Underground" auf wertvolle Hinweise zu durchforsten. Aber dafür erfährt der Leser mehr als irgendwo anders, wie Hacker leben, "Underground" bringt den Alltag einer Szene nahe, die sich aus Furcht vor staatlicher Verfolgung abschottet wie kaum eine andere.
Aber was liegt Wertvolles darin, zu erfahren, dass manche Klischees eben nicht ohne Grund Klischees sind und die beschriebenen Charaktere meist weiße Männer sind, denen es nicht so recht gelingen mag dazuzugehören, ganz blass, weil ihnen der Strand von Melbourne zu langweilig ist? Oder dass es in den Foren der Szene oft eher darum ging, um die wenigen Frauen zu balzen, als um das Eindringen ins nächste top-gesicherte System? Und dass Söhne aus der Oberschicht ebenso dabei waren wie solche aus der Arbeiterklasse, meist Vorstadtjungs und somit quasi die schrägen Brüder von Kylie Minogue in der 80er-Serie "Nachbarn". Nun, das nennt sich wohl Aufklärung, wenn Menschen und Mächte ihrer Mythen entkleidet werden.
Denn das Entrücken der Computerspezialisten ins Überirdische und seine negative Kehrseite - die Abschiebung in Ghettos wie die "Internet-Community" - hat den Dialog zwischen der "Hacker-Elite" (Buchuntertitel) und den oft von ihr als Dümmste Anzunehmende User bezeichneten Rest der Menschheit nicht befördert, es dominieren Arroganz und Ignoranz auf beiden Seiten. Und Angst, weil es dem Normalbürger übernatürlich scheint, wenn ein Einzelner mit wenigen Hilfsmitteln etwas Übermächtiges in die Knie zwingt - das versteht man gemeinhin unter Magie.
Und wer nähme diese Rolle nicht gern an? Kein Wunder, dass viele in der Hacker-Szene so ablehnend auf das Wikileaks-Buch des früheren Sprechers der Plattform, Daniel Domscheit-Berg, reagiert haben, schließlich handelte es vom Allzumenschlichen, davon, dass sich Weltenwender auch mal gegenseitig das Essen wegfuttern und Katzen quälen. Willkommen auf Augenhöhe - im menschlichen Mittelmaß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!