Asien-Pazifik-Wochen: Der nahe Ferne Osten
Bis zum 23. September laufen die Asien-Pazifik-Wochen. Auf rund 250 Veranstaltungen stellt sich die Boom-Region in Berlin vor.
Das Sony-Center am Potsdamer Platz, der Shaolin-Tempel am Kurfürstendann, der chinesische, japanische und Seouler Garten im Erholungspark Marzahn - es sind bisher nur wenige Highlights, in denen sich der asiatisch-pazifische Raum im Berliner Stadtbild widerspiegelt. Und doch ist der Ferne Osten, die wichtigste Boomregion der Welt, präsent: Während chinesische Restaurants vor 20 Jahren etwas ganz Besonderes waren, gibt es sie heute an fast jeder Straßenecke. Die Gastronomie aus dem Reich der Mitte hat hinter der italienischen Küche den zweiten Platz in der Berliner Gastronomie erobert. Und ein Gourmet aus Vietnam, das vor 15 Jahren noch als gastronomisches Schmuddelkind galt, hat mitten im Szeneviertel am Hackeschen Markt mit "Monsieur Vuong" eine stadtbekannte Marke geschaffen.
Vuongs Pho-Suppe mit frischen Kräutern ist ebenso eine Legende wie der eigenwillige Bootsflüchtling selbst. Weil es in seinem Restaurant immer voll ist, gibt es rund herum inzwischen zahlreiche Nachahmer. Asiaten verdrängen alteingesessene Anbieter: Auch japanische Sushi-Bars sprießen in Berlin wie Pilze aus dem Boden, wo man früher Döner oder Pommes verkauft hat. Asien-Pazifik verändert die Welt. Und Berlin.
Und weil das nicht nur kulinarisch so ist, stehen die Asien-Pazifik-Wochen unter diesem Motto. Jedes zweite Jahr werden sie von der Senatskanzlei veranstaltet, weil, so der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), "Berlin ein wichtiger Ort ist für den Dialog zwischen der Bundesrepublik und dem asiatisch-pazifischen Raum".
Bisher hatten die Wochen Länderschwerpunkte. In diesem Jahr wollen die Veranstalter zeigen, was die Boomregion für unseren Alltag, die Wirtschaft, die Kultur bedeutet. Vom heute bis zum 23. September können Interessierte auf Wirtschaftsforen mit EU-Kommissaren, Ministern aus Singapur und der Mongolei und und chinesischen Kommunalpolitikern über Wirtschaftskontakte nach Fernost diskutieren, Kalligrafie aus Seoul kennenlernen und sich über die Situation vietnamesischen Migranten der zweiten Generation informieren.
Asien ist auch aus dem Leben vieler Berliner nicht mehr wegzudenken. Sei es die Kleidung aus China und Bangladesh, der Kaffee aus Vietnam oder japanische Autos. Fernost steht dabei für billige Massenware, für fehlende Umweltstandards, für Produktpiraterie, aber auch für Hightech. "Auf diese asiatische Herausforderung müssen sich die europäischen Gesellschaften einstellen", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) vor kurzem. "Sonst laufen wir Gefahr, dass vieles von dem, was uns gut und erhaltenswert erscheint - individuelle Freiheit, sozialer Ausgleich, nachhaltiges Wirtschaften - irgendwann nur noch als Teil einer Welt von gestern erscheint."
Harald Kremp (Name geändert), der als einer der wenigen Deutschen für ein chinesisches Staatsunternehmen in Berlin tätig ist, bekommt das zu spüren. Er hat nur sieben Urlaubstage und muss selbstverständlich auch am Wochenende arbeiten. "Unser Unternehmen ist erfolgreich, mein Arbeitsplatz sicher", sagt der Mitfünfziger. Doch ihn stört die Struktur im Unternehmen: Konflikte sollen durch strikte hierarchische Unterordnung vermieden statt ausgetragen werden. "Und wenn mich Kunden auf die Politik in China ansprechen, habe ich zu schweigen oder mich blöd zu stellen", sagt Kremp.
Auch im Wellnessbereich ist Asien auf dem Vormarsch. Doch nicht alles ist gut, was da an vermeintlichen Wundermittelchen aus Fernost auf den Markt kommt. Zum Beispiel im Dong-Xuan-Handelszentrum in Lichtenberg, dem größten Asiamarkt in Berlin, der hauptsächlich von Vietnamesen betrieben wird. Hinter dem Ladentisch erhält man hier auch Flaschen mit in hochprozentigen Alkohol eingelegte Schlangen, Echsen und Seepferdchen. Der Verkauf ist in Deutschland zwar aus Artenschutzgründen verboten. Doch das interessiert die Vietnamesin Nhat nicht, die eine Flasche kauft. Mit diesem Elixier macht sie ihrem Mann eine große Freude. Wie die meisten Asiaten schreibt er diesem Getränk potenzsteigernde Wirkungen und eine Stärkung des körperlichen Gleichgewichtes zu. Dass das hochprozentige Schlangengebräu Mundgeruch verursacht, tut der Legende keinen Abbruch.
Unter den rund 470.000 Ausländern in Berlin stellen Zuwanderer aus Asien mit 67.000 eine Minderheit dar. Doch ihr Anteil steigt kontinuiertlich, und es sind vor allem junge Menschen, die aus Fernost nach Berlin kommen. Das Spektrum ist breit: Studenten aus China, Flüchtlinge aus Vietnam, Unternehmer aus Japan und Korea und Ehefrauen aus Thailand.
Ihre Integrationsprobleme unterscheiden sich beträchtlich von denen der türkischen und arabischen Zuwanderer. Empirische Studien zeigen, dass Asiaten der zweiten Generation eine deutlich höhere Bildungsorientierung haben. Gemäß der konfuzianistischen Kultur bringen sie oft auch ein stark hierarchisch strukturiertes Weltbild mit: Geachtet wird, wer älter ist. Und in traditionellen Familien muss sich der Jüngere bedingungslos dem Familienwillen unterordnen, bis zum Verzicht auf Individualität.
Das stört jene Berliner Teenager wenig, für die Fernost ist eine Modewelle in der Jugendkultur ist. Viele 15-Jährige sind mit japanischen Mangas und Filmen aus Indiens Filmmetropole Bollywood großgeworden. Zum Beispiel die Friedrichshainerin Katja: Sie trägt Ketten und Ohrringe mit dem Ying-Yang-Zeichen und hat mehrere T-Shirts mit Asia-Motiven im Schrank. Am Wochenende geht sie öfter zu Asia-Partys mit Karaoke und Musik von Stars aus Japan und Südkorea im asiatischen Ambiente. Ein großer Spaß für die Gymnasiastin.
Weil Asien unter Jugendlichen angesagt ist, wollen immer mehr Schüler chinesisch lernen. 17 Schulen haben die Amtssprache von 1,3 Milliarden Menschen im Angebot. Tendenz: stark steigend. An fünf Schulen kann man japanisch büffeln. Dennoch sind Berlin und Deutschland im Erlernen asiatischer Sprachen Entwicklungsland. In den USA ist chinesisch nach englisch und spanisch bereits an dritter Stelle im Unterricht an Schulen und Colleges. Dort geht man davon aus: In Fernost liegt die Zukunft.
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