Aschermittwochsrede von Martin Schulz: Die Anhänger sind ziemlich ergriffen
Im Bierzelt gute Reden halten? Kann nicht jeder. Als SPD-Spitzenkandidat Schulz in Vilshofen vors Mikrofon tritt, ertönen „Martin, Martin“-Rufe.
Jahr für Jahr findet hier in Donau-Nähe ein politisches Fernduell statt – zwischen der CSU in Passau und den Sozialdemokraten ein paar Kilometer nördlich. Die Bayern-SPD bemüht sich stets kräftig, Prominenz ins Zelt zu holen, was in der Vergangenheit nicht immer gut gelang.
Diesmal hat es geklappt. Martin Schulz, designierter SPD-Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender, kommt als Hoffnungsträger. Reden kann er, das weiß man, doch kann er auch Bierzelt? Die Genossen sind bestens aufgelegt. Nach der Kern-Rede skandieren sie: „Hoch die internationale Solidarität“. Der bayerische Noch-SPD-Landeschef Florian Pronold stellt Schulz als „zukünftigen Bundeskanzler von Deutschland“ vor. „Martin, Martin“-Rufe ertönen – es werden nicht die letzten an diesem Aschermittwoch sein.
Mit seiner Ansprache beginnt Schulz zehn Minuten früher als geplant, als ob er es nicht erwarten könne – hier in Vilshofen nicht und nicht bis zur Bundestagswahl am 23. September. Gleich am Anfang beschwört er den Erhalt der EU und ruft: „Nationalisten dürfen Europa nicht die Zukunft zerstören.“ Er verteidigt die Aufnahme der Flüchtlinge im Jahr 2015: „Ein Akt der Solidarität.“ Er schimpft gegen die Populisten der Welt, gegen Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, Erdoğan in der Türkei und den US-Präsidenten Donald Trump. Dann ist die Außenpolitik abgehakt.
Mobil aufgebaute Zelte wie das auf dem Vilshofener Festplatz sind eine praktische Sache. Sie lassen sich problemlos verkleinern und vergrößern. Die Sozialdemokraten haben die XXL-Variante aufgestellt, bei den Planungen wurde es immer noch ein Stück gezogen, damit die angemeldeten 5.000 Besucher hineinpassen. Fast unendlich lang wirken die Bankreihen mit den vielen Menschen, von hinten kann man Martin Schulz gerade noch als ganz kleinen Mann auf dem Rednerpult erkennen.
1.000 rote SPD-Fahnen wehen im weiß-blauen Bierzelt
Ohne einmal durchzuschnaufen, ist der „Mann aus Würselen“ bei der Innenpolitik. Würde, Respekt, Solidarität – das sind seine Vokabeln, das ist der Grundwortschatz seines politischen Programms. Jedem solle Respekt gezollt werden, Krankenschwestern, Facharbeitern, Polizisten, Ingenieuren, Künstlern.
Selten hat einer donnernden Applaus erhalten, wenn er lediglich das Grundgesetz zitiert. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, ruft Schulz. Mit der Emotionalität, die er rhetorisch gut kann, erzählt er die Geschichte vom jungen Martin Schulz: „Ich habe die Orientierung verloren, ich habe die zweite Chance bekommen.“ So wurde er Buchhändler, dann Bürgermeister. Das kennt man mittlerweile, in Vilshofen sind die Anhänger dennoch ziemlich ergriffen.
Im Bierzelt eine gute Rede halten kann nicht jeder. Bei der SPD tat sich einst der vormalige Kanzlerkandidat Peer Steinbrück schwer, der Ministerpräsidentenkandidat Christian Ude sprach viel zu gedrechselt. In den letzten Jahren fristete die Veranstaltung ein Schattendasein, war ähnlich trostlos wie der Zustand der Bundes- und speziell der Bayern-SPD.
Jetzt aber: begeistertes Klatschen, großer Jubel. „Zeit für Martin“ steht auf den Plakaten und: „Jetzt ist Schulz.“ Dieser sagt, man müsse das Land jeden Tag ein Stück besser machen: „Sozis müssen das in ihrem Herz spüren.“ 1.000 rote SPD-Fahren werden im weiß-blauen Bierzelt geschwenkt.
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