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Im Schein des Buschfeuers: Australien im Januar 2020 Foto: reuters

Artensterben in AustralienVerbrannte Pfoten

James Fitzgerald päppelt Koalas auf. Manuela Richter kämpft für den Wald nahe ihrem Dorf. Drei Milliarden Tiere sind in den Flammen umgekommen.

J ames Fitzgerald geht auf die kleine, graue Wollkugel zu, die in einem Gehege auf der Gabel eines dünnen Eukalyptusastes sitzt. Gemächlich hebt der Koala seinen Kopf – mehr gelangweilt als interessiert. Das Tier streckt dem Mann die Nase hin. „Er will mich küssen“, lacht James. Ein berührender Moment. Der Beobachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Der Koala weiß, dass er sein Leben diesem Mann zu verdanken hat.

James Fitzgerald, ein pensionierter Beamter mit Dreitagebart, kurzem Haar und wachen Augen, führt in einem abgelegenen Waldstück rund vier Stunden Autofahrt südlich von Sydney die Koala-Rettungsstation „Two Thumbs Wildlife Trust“. „Two Thumbs“ – zwei Daumen: Koalas haben zwei Daumen, die ihnen erlauben, sich an den Ästen der Eukalyptusbäume festhalten zu können, hochzuklettern an der glatten Baumrinde. Sie sitzen im Geäst und fressen Blätter. Vor allem aber schlafen sie – bis zu 22 Stunden am Tag. Nicht etwa, weil sie faul seien oder weil das ätherische Öl in den Eukalyptusblättern sie vergifte, korrigiert die Biologin Karen Ford von der Australien National University (ANU) in der Hauptstadt Canberra gängige Irrtümer. Koalas seien pingelige Tiere, die nur die Blätter von sieben der über 700 Eukalyptusbaum­arten fressen. „Sie ruhen, um Energie zu sparen. Eukalyptusblätter haben keinen hohen Nährwert. Aus diesem Grund bewegen sich Koalas auch sehr langsam.“

Zu langsam. Als um die Jahreswende an der australischen Ostküste die großflächigsten Waldbrände der Geschichte tobten, fanden sich Millionen von Fernsehzuschauern rund um den Globus von einer Szene ganz besonders betroffen: Ein Koala, orientierungslos und verstört, tastet sich durch eine apokalyptische Waldlandschaft, um ihn herum lodernde Flammen. Verzweifelt versucht das Tier der Glut auszuweichen, die seine Pfoten versengt. Dann die Rettung: Eine Passantin, selbst auf der Flucht vor dem herannahenden Feuer, wickelt den Koala in ein Hemd und bringt ihn zur Auffangstation. Doch die Geschichte hat kein gutes Ende. „Lewis“, wie seine Helfer das Tier tauften, erliegt später seinen Verbrennungen.

Schätzungen zufolge sind allein bei den Bränden im Bundesstaat New South Wales mindestens 5.000 Koalas gestorben, wahrscheinlich aber deutlich mehr. James Fitzgerald konnte neun retten. „Dieser hatte Verbrennungen zweiten Grades“, erklärt er und zeigt auf die rosafarbene Unterseite der Pfoten des Tieres – Zeichen für eine erfolgreiche Heilung. „Wir mussten ihn wochenlang verbinden; wir gaben ihm Antibiotika, Schmerzmittel.“

Der kleine Koala soll in den nächsten Wochen wieder ausgesetzt werden. Doch was ihn in der Wildnis erwartet, bereitet Karen Ford große Sorgen. „Das Ökosystem wurde durch die enorme Hitze der Feuer zerstört“, sagt die Wissenschaftlerin. Kein Lebensraum mehr, keine Nahrungsquellen, keine Zufluchtsorte. „Es ist für sie schwierig, Futter zu finden.“ Viele Tiere, die die Brände überlebt hätten, seien später verhungert in einer ­Landschaft, die nur noch aus Asche und Kohle besteht.

Päppelt Koalas auf: James Fitzgerald Foto: Urs Wälterlin

Die Biologin steht auf einem Hügel, umgeben von schwarzen Baumstämmen. „Es war wie in einem Hochofen. Felsen explodierten in der Hitze.“ Es müsse alles daran gesetzt werden, jene Gebiete zu schützen, die vom Feuer nicht betroffen sind. „Von dort aus können sich die Tiere wieder ausbreiten und haben so vielleicht eine Chance, als Art zu überleben.“

Feuer ist in weiten Teilen des Landes seit Jahrtausenden ein überlebenswichtiger Teil des Ökosystems. Einige Pflanzenarten können sich nur dann vermehren, wenn sich ihre harten Samenkapseln im Rauch und der Hitze eines Feuers öffnen. Die Brände vom letzten Sommer seien aber „ausgedehnter und sehr viel heißer und intensiver gewesen als in früheren Jahren“, meint Ford. Der Grund: Klimawandel. Seit Jahren steigende Durchschnittstemperaturen als Folge der Erwärmung der Erdatmosphäre sowie eine über Jahre dauernde Dürreperiode in weiten Teilen des Landes hätten die Vegetation derart ausgetrocknet, dass es nur einen Funken brauchte und knochentrockene Äste und ausgedörrte Blätter verwandelten sich in Sekunden zu lodernden Fackeln. „Ich sehe nicht, dass sich die Situation bessern wird“, sagt die Wissenschaftlerin. „Die Temperaturen steigen weiter.“

Totenstille zwischen verbrannten Bäumen

Weiterfahrt über die Great Dividing Range. Australiens größter Gebirgszug im Ostens des Kontinents wirkt wie eine Trennwand zwischen den niederschlagsreicheren Gebieten der Küste und dem trockeneren Inland. Hier haben sich die Feuer durch Tausende von Hektar Wald gefressen. Acht Monate später stehen Millionen verbrannte Bäume wie warnende Zeigefinger in einer kalten Landschaft. Nur vereinzelt sprießen aus verkohlter Rinde frische Zweige – ein Zeichen dafür, dass die ungewöhnlich hohen Temperaturen viele Bäume nicht nur versengt haben, sondern getötet.

Bei einem Zwischenhalt herrscht Totenstille. Kein Vogelgezwitscher, kein Lachen des Kookaburras, des graubraunen Eisvogels, der diese Wälder sonst bevölkert. Keine neugierigen Kängurus, nicht einmal eine Fliege ist zu sehen. Eine Aussage der Biologin Karen Ford kommt in den Sinn: „Es sind nicht nur die süßen und knuddeligen Koalas. Es sind die Millionen anderen Tiere, die wir verloren haben und die vielleicht noch wichtiger sind für das Funktionieren des Ökosystems; Reptilien, Amphibien, Vögel, Insekten.“ Mindestens drei Milliarden Tiere sind in den Feuern umgekommen, so neuste Studien.

So enorm die Zahl ist, schrumpft sie im Vergleich mit dem Schaden, den das Ökosystem des fünften Kontinents seit dem Beginn der europäischen Besiedelung erlitten hat. Nach dem Nachbarn Indonesien verzeichnet Australien die weltweit höchste Zahl von Tier- und Pflanzenarten, die exklusiv in diesem Land vorkommen.

Darunter befinden sich neben Tausenden Wirbeltieren auch 98.703 wirbellose Tiere, 24.716 Pflanzen, 11.846 Pilzarten und etwa 4.186 Arten in anderen Gruppen. Seit Beginn der Kolonialisierung sind etwa 100 Tierarten ausgerottet worden, darunter 34 Säugetiere. Kein anderes Land hat in einem Zeitraum von nur 200 Jahren eine derart hohe Aussterberate zu verantworten. Auch 37 Pflanzenarten sind seit 1788 verschwunden, dem Jahr der Ankunft der „Ersten Flotte“ britischer Segelschiffe im Hafen der heutigen Millionenmetropole Sydney.

Die rasche Ausbreitung der neuen Sträflingskolonie läutete nicht nur den Tod Tausender von Aborigines ein. Es begann auch eine gnadenlose Jagd auf einheimische Tiere. Die wachsende Bevölkerung und die Expansion der Wollindustrie hatten verheerende Folgen für eine über Jahrtausende vom Rest der Welt abgeschnittene Umwelt. Die Einführung von Schädlingen wie Ratten, Kaninchen und Füchsen bedeutete für Milliarden von einheimischen Tieren das Ende. Bis heute töten verwilderte Hauskatzen jährlich bis zu 1,5 Milliarden Reptilien, Vögel und Säugetiere. Die Natur zu unterjochen, war – und in einigen Fällen bleibt – Politik. Regierungen tolerieren oder fördern direkt und indirekt die Tötung einheimischer Tiere. Damit soll nicht zuletzt der Futterkonkurrenz zwischen wirtschaftlich wichtigen Rindern, Schafen auf der einen und „nutzlosen“ Kängurus auf der anderen Seite entgegengewirkt werden.

Der Kampf um den letzten intakten Wald von Manyana

Manyana, auf der anderen Seite der Great Dividing Range. Schon der Name tönt wie Urlaub. Ein Paradies ist das kleine Dorf direkt am Meer für jene, die dort wohnen. Doch im Dezember verwandelte es sich zur Hölle. Die ganze Gegend stand in Flammen. „Wir waren zwei Wochen lang abgeschnitten“, erzählt Manuela Richter, Einwanderin aus Dortmund und Mitglied der freiwilligen Feuerwehr. Die Behindertenpflegerin erzählt vom Kampf ums Überleben ihres Dorfes, von der Erschöpfung. „Wir waren rund um die Uhr gegen die Flammen im Einsatz.“ Doch inzwischen frage sie sich, „ob das alles überhaupt Sinn macht“.

Heute kämpft Richter nicht gegen Feuer, sondern um das Überleben einer Art natürlicher Arche Noah. Am Dorfrand steht ein 20 Hektar großes Stück Wald – eines der letzten, die nicht von den Bränden zerstört wurden. Jetzt soll das ganze Gebiet abgeholzt werden, für eine Wohnsiedlung. „Es ist der einzige Ort, wo überlebende Tiere noch Schutz finden“, erklärt Bill Eger, Richters Mitkämpfer. Die beiden stehen vor einem temporären Zaun, mit dem der Besitzer das Grundstück vor den Gegnern seiner Pläne schützen will. Protestierende haben farbige Schilder befestigt, warnen den Bauherrn davor, seine Pläne umzusetzen. „Umweltterroristen!“, schreit ein Plakat.

Mehrere gefährdete Tierarten lebten in diesem Gebiet, sagt Eger, Offizier der Freiwilligen Feuerwehr. Als er spricht, werden seine Augen feucht. „Der Bauherr meinte, die Tiere bedeuteten ihm nichts. Gar nichts.“ Die taz hat den Besitzer des Waldstücks, ein Bauunternehmer aus Sydney, um eine Stellungnahme gebeten. Ohne Erfolg.

Überlebende Koalas drohen zu sterben. Sie finden in den toten Wäldern nichts mehr zu fressen Foto: Urs Wälterlin

Manyana mag klein sein. Eger und Richter aber kämpfen gegen die größte und folgenschwerste Form von Umweltzerstörung in Australien: die Rodung von Wald und Buschgebieten. Ihre Abholzung ist gemeinsam mit der Klimaveränderung und der Ausbreitung von Schädlingen die wichtigste Bedrohung der Ökosysteme auf dem Kontinent. Manyana ist nur eines von unzähligen Beispielen: etwas weiter südlich knattern in diesen Tagen die Kettensägen in Wäldern, die als überlebenswichtig für Koalas gelten und die den Feuern entkommen sind. Die Bäume enden als Bodenbelag, Baustoff, Holzschnitzel. Auf der Insel Tasmanien fressen sich Bulldozer seit Jahrzehnten durch 10.000 Jahre alte Urwälder.

Australien ist die einzige Nation in der entwickelten Welt, die auf der globalen Liste der Entwaldungs-Hotspots des World Wildlife Fund (WWF) steht. Das Land stünde Papua-Neuguinea, Indonesien, Kongo und Brasilien um nichts nach, so Martin Taylor, Umweltwissenschaftler der Organisation. Zersiedlung – wie im Fall Manyana – und Urbanisierung seien zwar wichtige Ursachen für den Rodungswahn. Weitaus größer aber sei der Schaden, der von der Landwirtschaft angerichtet werde: die Zerstörung von Wäldern zur Schaffung von Weideland für Fleischrinder.

Der Bundesstaat Queensland hat eine Rodungsrate, die mit der Situation in Brasilien und dem Amazonas verglichen wird. In Nordostaustralien wurden allein im Finanzjahr 2015/16 laut WWF 395.000 Hektar Vegetation abgeholzt. „Das entspricht 1.500 Fußballfeldern – pro Tag“, sagt Taylor. Seit Beginn der europäischen Besiedelung verlor Australien auf diese Weise knapp 100 Millionen Hektar Wald, Busch- und Grasland. Eine kaum abschätzbare Zahl von Tieren geht allein während der Abholzarbeiten zugrunde.

Die Wildtierretterin Carol Cosentino aus Collinsville in Queensland spricht von „einer Welle Hunderter verletzter, verstörter und verwaister Tiere, die uns jedes Mal überschwemmt, wenn die Rodungsbagger auffahren“.

In Australien liegen Umweltgesetze primär in der Verantwortung der Bundesstaaten. Ein seit dem Jahr 2000 bestehendes nationales Umweltgesetz wird kaum durchgesetzt. Seit seiner Einführung seien weitere 7,5 Millionen Hektar Lebensraum bedrohter Arten durch Abholzung zerstört worden, so die Umweltorganisation Australian Conservation Foundation. „Die Industrie ist wichtiger. Natur und die Umwelt sind zweitrangig“, glaubt Bill Eger.

Eine Untersuchungskommission klagt, die Gesetze seien „nicht geeignet, aktuelle oder zukünftige Umweltherausforderungen anzugehen“, nicht zuletzt den Klimawandel. Sie empfiehlt die Gründung einer speziellen Regulierungsbehörde, welche die Bundesstaaten überwacht und Projekte „anhand nationaler Standards“ festlegen solle. Doch von „mehr Bürokratie“ will die konservative australische Regierung von Premierminister Scott Morrison nichts wissen. Im Gegenteil: der Wirtschaft müsse der Gang durch die Amtsstuben erleichtert werden, sagt Umweltministerin Sussan Ley.

Anfang September haben die Aktivisten von Manyana einen kleinen Sieg errungen. Umweltministerin Ley ordnete nach einer Beschwerde an, die Folgen der Buschfeuer für das Ökosystem müssten zumindest in Betracht gezogen werden, bevor eine Rodung beginnen könne. Doch Manuela Richter bleibt pessimistisch. Denn Manyana sei Teil eines fundamentalen politischen und gesellschaftlichen Problems: „In Australien besteht kein richtiges Interesse daran, sich für die Umwelt einzusetzen und den Zusammenhang zu sehen, wie kritisch ein Ökosystem für uns alle ist. Nicht nur in Australien, sondern auf der ganzen Welt.“

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