Artenschutz für aussterbende Pflanzen: Oh Bauer, nimm mich mit
Viele Pflanzen überleben auf dem Land nur noch schwer. Das Projekt „Urbanität und Vielfalt“ will ihnen in Städten neue Lebensräume schaffen.
Das Projekt „Urbanität und Vielfalt“ will auf das Problem Artenschwund aufmerksam machen und zugleich Teil der Lösung sein. Dazu verschenken die vier Projektpartner, die Botanischen Gärten der Universitäten Potsdam und Marburg, das Späth-Arboretum der Berliner Humboldt-Uni und die Gärtnerei des Umweltzentrums Dresden Jungpflanzen an Pflanzenpaten. Diese müssen sich auf der Website www.UundV.de anmelden und bekommen dann ein Paket mit 18 Pflanzen, jeweils 6 Exemplare von drei Arten.
Wer mitmachen will, braucht kein Geld, keinen Garten und kein Vorwissen – nur Lust und Zeit, sich mit Blaugrünem Schillergras und Co zu befassen. Wer nicht mal ein Fensterbrett für einen Blumenkasten hat, der kann seine Pflanzen in die Beete der „Archeflächen“ einpflanzen, die an allen drei Orten entstehen sollen – in Berlin finden sich die bistrotischgroßen Parzellen auf der Internationalen Gartenausstellung Iga im Bezirk Hellersdorf.
Mit dem Grünzeug mitgeliefert werden Beschreibungen der Pflanzen, Pflegehinweise sowie Samentüten. In diesen sollen die Paten die Samen der Pflanzen sammeln, wenn sie geblüht haben, und sie dann an Botanische Gärten und Gärtnereien zurückgeben. An geeigneten Standorten werden sie dann ausgesät und so weiterverbreitet.
In der Region Berlin und Brandenburg startet die Aktion am 25. Juni, in Marburg und Dresden werden die Pflanzen im nächsten Jahr verteilt. Insgesamt 1,1 Millionen Euro des Bundesprogramms Biologische Vielfalt lässt sich die Bundesregierung das Projekt kosten, das Bundesamt für Naturschutz (BfN) begleitet das Projekt fachlich. Vorgesehen sind sozialwissenschaftliche Untersuchungen, die ermitteln sollen, inwieweit sich neue Interessengruppen für den Wildpflanzenschutz begeistern lassen; zum anderen wird das neu entstandene Saatgut genetisch untersucht.
Anika Dreilich
„Uns geht es vor allem darum, die genetische Vielfalt der Wildpflanzen zu erhalten“, sagt Anika Dreilich vom Späth-Arboretum Berlin. Die Biologin betont, Arten hätten in unterschiedlichen Regionen auch eine unterschiedliche genetische Ausstattung. „Je vielfältiger sie ist, desto anpassungsfähiger ist die Art insgesamt und kann auf Phänomene wie den Klimawandel besser reagieren“, so Dreilich. Ein Beispiel hierfür sei die Skabiosen-Flockenblume.
In Berlin blüht die lilablaue Blume zahlreich, entstammt aber überwiegend einer immer gleichen Wildblumenmischung ungeklärter Herkunft. „Wir verteilen den Wildtyp“, sagt Dreilich. Ausgewählt wurden die insgesamt 34 Arten für Berlin und Brandenburg auf Basis der Florenkartierung der BfN, die die Pflanzenwelt in Deutschland erfasst, in Zusammenarbeit mit den örtlichen Naturschutzbehörden. Während in Potsdam und Berlin Pflanzen der Trockenrasen verschenkt werden, sind es in Marburg eher feuchtigkeitsliebende.
Insgesamt wurden für alle drei Standorte rund hundert seltene und regional bedeutsame Arten ausgesucht, sagt Eva Flinkerbusch, die das Bundesprogramm Biologische Vielfalt koordiniert. Außerdem habe man darauf geachtet, dass die Pflanzen leicht kultivierbar seien, und außerdem auch hübsch, „damit die Leute sie auch gerne pflanzen und pflegen“, so Flinkerbusch. Schließlich wolle man mit dem Projekt auch Zielgruppen ansprechen, die bisher eher selten mit Artenschutz in Berührung kamen, etwa Kleingärtner.
Von dem Projekt, eines von derzeit 46 laufenden im Rahmen des Bundesprogramms, verspricht sich Flinkerbusch neben neuen Pflanzensamen vor allem Netzwerke von Artenschützern in den drei Regionen, die über das Projekt hinaus bestehen.
Aber ist es sinnvoll, Pflanzen in Blumenkästen zu vermehren und in der Stadt anzusiedeln, wenn ihre natürlichen Lebensräume verschwinden? „Natürlich“, sagt Dreilich, „gerade weil Nährstoffüberschüsse und Pestizide den Pflanzen auf dem Land das Leben schwer machen, sind neue Lebensräume in den Städten wichtig.“
Auf gut gedüngten Wiesen werden Kriechende Hauhechel oder Rötliches Fingerkraut von konkurrenzstärkeren Gräsern und Blumen überwuchert. „Unsere Pflanzen haben sich auf Mangel spezialisiert“, sagt Dreilich, „aber im Blumenkasten im Hinterhof passt ja der Pflanzenpate auf sie auf, und schafft ihnen durch Unkrautzupfen Platz zum Leben.“
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