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Artenschutz durch Bürgerkrieg

Für Bürgerkriege in Mittelamerika wurden Straßen und Landepisten in den Urwald geschlagen – doch schuf der Krieg auch ökologische Nischen  ■ Von Bernhard Rohleder

Managua (taz) – Pablo Ramánez ging es selten besser. Fisch satt für sich, seine Frau und seine sechs Rangen. Wem er das zu verdanken hat? Der guerra, claro. „Endlich sind die Netze wieder voll“, preist Ramánez das umstrittene Ergebnis des Bürgerkrieges in Nicaragua.

Es stimmt verwunderlich, was zur Zeit aus Mittelamerika gemeldet wird. Dort zieht man gerade die Ökobilanz der Bürgerkriege der achtziger Jahre. Das erstaunliche Resultat: Militärische Auseinandersetzungen müssen die Umwelt nicht zwangsläufig zerstören.

Insbesondere die Kämpfe in Nicaragua scheinen dem tropischen Ökosystem ebenso genutzt wie geschadet zu haben. Die Gründe klingen kurios, wenn nicht zynisch. So haben die Populationen von zahlreichen Wildtieren wieder zugenommen, weil „Zivilpersonen fürchteten, der Besitz von Waffen würde sie als Sandinisten oder Contras kennzeichnen“, meint Bernard Nietschmann. Das konnte lebensgefährlich sein, je nachdem, wem man auf der Pirsch begegnete. Der Geograph von der Berkeley University in Kalifornien weiß, wovon er spricht. Seit mehr als 20 Jahren setzt er sich für den Naturschutz in Nicaragua ein. Auch dem Tropenwald geht es nach seinen Beobachtungen mancherorts wieder besser. Viehzüchter hatten ihre Herden reduziert aus Angst vor Beschlagnahmung durch die linksgerichtete Regierung. Es wurde deshalb weniger Urwald in Weideland umgewandelt. Die Bäume konnten teilweise sogar verlorenes Terrain zurückerobern. Auch die Bestände an Meeresschildkröten, Fischen und Krustentieren konnten sich erholen.

Planiern für die Soldaten

Diesen Wohltaten zweifelhaften Ursprungs stehen nicht weniger eindrucksvolle Zerstörungen gegenüber. Militärische Infrastruktur braucht Platz. Dem Krieg wurden Straßen und Flughäfen gebaut. Allein in Honduras fällte man etwa 45.000 Hektar Tropenwald für Trainingslager der Contras.

Die Regierung von El Salvador hatte auf der Suche nach linksgerichteten Guerilleros mehr als 3.000 Tonnen Bomben, Napalm und weißen Phosphor über den Urwäldern abgeworfen. Auch aus diesem Grund sind 94 Prozent der ursprünglichen Vegetation des Landes zerstört. Fehlt die Pflanzendecke, dann erodiert der Boden und die Erde wird abgeschwemmt. 90 Prozent der Flüsse El Salvadors sind verschlammt. In Guatemala holzte die Regierung einen zweihundert Meter breiten Urwaldstreifen entlang vieler Straßen ab. Den Guerilleros sollten die Verstecke genommen werden, von denen aus sie Armeefahrzeuge überfallen konnten. Zur Zeit werden neue Autopisten angelegt. Schwerpunktmäßig zu den Hochburgen der Rebellen. Deren Anhänger wiederum konkurrieren mit Angehörigen der Streitkräfte um die Gunst von Wilderern. Denn wer ohne Genehmigung jagt, braucht feste Claims. Nur hier kann er sich seiner Beschäftigung gefahrlos widmen. Ein willkommenes Zubrot für Militärs und Guerilleros. Das Berufsbild des illegalen „Natur“schützers, der mit einem Sturmgewehr durch den Wald läuft, gewinnt allmählich an Kontur.

Das schwerwiegendste ökologische Problem stellen die immer noch zahlreichen Kriegsflüchtlinge dar. Sie wandern von El Salvador und Nicaragua nach Guatemala und weiter ins benachbarte Belize oder nach Mexiko. 60.000 Flüchtlinge leben dort bereits. In der guatemaltekischen Region Petén, einem hochsensiblen und einzigartigen Urwaldgebiet, kommen täglich 250 Vertriebene an. Sie flüchten in den Wald, da ihnen in Dörfern und Städten die Grundlagen zum Leben fehlen. Nicht nur in Lateinamerika, auch in Afrika, Asien und Ozeanien hat die große Wanderung begonnen. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen hat schätzen lassen: Weltweit sind 300 bis 500 Millionen Menschen auf der Suche nach Nahrung und Lebensraum in den Regenwald gegangen. Dort verschaffen sie sich mit dem Streicholz Platz.

Flüchtlingsströme auf dem Weg in die Urwälder

Das größte von Siedlern gelegte Feuer vernichtete 1982/83 in Indonesien ein Gebiet von der Fläche der Niederlande. Jeder brennt sich sein ganz privates Stückchen Urwald ab und gewinnt so Land für den Anbau von Mais und Gemüse. Die dünne Humusschicht ist allerdings bereits nach wenigen Jahren ausgelaugt. Die unfreiwilligen Siedler müssen also weiterziehen. Und so dringen sie immer weiter in bis dahin unberührtes Gebiet vor.

41 bis 49 Prozent der gesamten Tropenwaldvernichtung geht mittlerweile auf diese Art der Brandrodung zurück. Acht Millionen Hektar Regenwald verliert die Erde jedes Jahr durch die Summe kleiner Feuer. Jede Sekunde werden 15 Hektar Wald abgefackelt. Die Flüchtlinge zündeln an den Bäumen, von denen sie leben. Denn sie halten zwangsweise eine teuflische Spirale aus Naturzerstörung, Trinkwassermangel, Unterernährung, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Armut, fehlender Bildung und Bevölkerungswachstum in Gang.

Diesen Kreis zu durchbrechen wird auch nach Beendigung der Bürgerkriege nicht leichtfallen. Doch gibt es zumindest im Naturschutz die ersten Projekte. Costa Rica schuf sowohl mit Panama als auch mit Nicaragua gemeinsame Schutzzonen. Sie dehnen sich über eine Fläche von jeweils mehr als einer Million Hektar aus. Gleich drei Länder, Guatemala, El Salvador und Honduras, arbeiten bei der Verwaltung eines Gebirgsparks von der Größe Schleswig-Holsteins zusammen. Weil der Name Programm sein sollte, wurden sie alle klangvoll getauft. Für „amistad“, Freundschaft, entschieden sich Costa Rica und Panama. Mit Freundschaft allein gab man sich in Nicaragua nicht zufrieden: „Si-A- Paz“ mußte es dort schon sein – Ja zum Frieden.

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