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■ Arno Klarsfeld, Anwalt der Nebenklage im französischen Papon-Prozeß, ist Sohn berühmter Eltern und selbst ein Darling der Medien Von Karin Nink-LepartzBerühmtheit als Waffe

Im Gericht von Bordeaux erweist er sich als Showtalent – aber nicht aus Eitelkeit, sagt er. Arno Klarsfeld beteuert, mit seinem lauten Verhalten könne er den „Söhnen und Töchtern der jüdischen Deportierten in Frankreich“ helfen.

Ein Büchlein ist sein ständiger Begleiter. Wenn Arno Klarsfeld im Papon- Prozeß zwischen seinen Kollegen von der Nebenklage sitzt, liegt es in dem Wust der Akten griffbereit auf seinem Tisch – so, als wolle er seine Emotionen jederzeit nähren können. In dem Heft befinden sich Fotos von jüdischen Kindern aus Bordeaux, die im August 1942 ins Zwischenlager Drancy bei Paris verschleppt und von dort aus weiter in deutsche Vernichtungslager deportiert wurden. Neben ihren Fotos hat Klarsfeld in einem Stadtplan von Bordeaux angekreuzt, wo diese Kinder gewohnt haben. „Ich gehe häufig durch diese Straßen, an den Wohnungen vorbei, um mir die Ereignisse bewußter zu machen, das Gefühl wachzuhalten.“ Arno Klarsfeld ist der Sohn der „Nazijäger“ Serge und Beate Klarsfeld. In Frankreich ist er ein bekannter Anwalt. Als einer der ganz wenigen seines Berufsstandes ist er in Paris, New York und in Kalifornien zugleich zugelassen. Der 31jährige ist eigentlich auf Handels- und Urheberrecht spezialisiert. Doch tritt er als Jurist immer mehr das Erbe seines Vaters an.

Schon 1994 war er einer der Anwälte der Nebenklage im Kollaborationsprozeß gegen den ehemaligen Nachrichtenchef der Miliz von Lyon, Paul Touvier. Anstelle seines Vaters Serge vertrat er die Vereinigung der „Söhne und Töchter der jüdischen Deportierten in Frankreich“. Dafür hatte er in New York eine vielversprechende Karriere und einen gutbezahlten Job in einer der größten Kanzleien der USA aufgegeben. Nebenbei hat er zwei autobiographische Romane geschrieben und versucht, sich auch als Schriftsteller einen Namen zu machen. Durch sein Auftreten im Touvier-Prozeß wurde Arno Klarsfeld zum Medienliebling. Die Presse überschlug sich: Frauenzeitschriften, Magazine und Tageszeitungen hatten den gutaussehenden „Engel der Verteidigung“ mit dem „schönen, melancholischen Gesicht“ entdeckt.

Ein Mann, den die Medien lieben, einer, der seine Haut gern zu Markte trägt: Arno Klarsfeld ist sich seiner Wirkung bewußt. Er weiß, daß er gut aussieht, er weiß, daß sein Lebensweg einer Bilderbuchkarriere gleichkommt. Sein langes schwarzes Haar, das er immer wieder mit einer entschiedenen Handbewegung aus dem Gesicht streicht, seine Vorliebe für Jeans, körperbetonte T-Shirts, Lederjacken und Stiefel widersprechen dem klassischen Bild eines französischen Anwalts. Genauso wie die Tatsache, daß Klarsfeld sich in Bordeaux hin und wieder auf Rollerblades vom Gericht zum Hotel bewegt.

Diese Äußerlichkeiten, gepaart mit einigen wohlplazierten Wutausbrüchen im Gerichtssaal reichten, um den aufstrebenden und ehrgeizigen Klarsfeld-Sproß schon vor Jahren zu einem „Rocker“, „Cowboy“ oder gar „Rebell“ zu stilisieren. Das Image stört ihn nicht. „Schließlich macht die Presse sowieso das, was sie will“, sagt der „Rebell“. Außerdem – aber das sagt er nicht – verhelfen Klischees und Medienpräsenz zu einer gewissen Berühmtheit. Und die ist Arno Klarsfeld wichtig.

Das Topmodell Carla Bruni, mit dem Klarsfeld liiert war, ist mittlerweile passé. Wie auch die ausschweifende Phase seines Lebens. „Früher habe ich in der Tat nur jede zweite Nacht geschlafen, aber die Zeiten sind vorbei“, sagt er und wirft schnell noch einen geschäftigen Blick auf eine seiner Unterlagen, bevor er sich in seinem Büro gnädig auf das Gespräch einläßt.

Die Arbeitsräume im fünften Stock eines klassischen großbürgerlichen Hauses im nicht minder großbürgerlichen achten Pariser Arrondissement zwischen Champs-Élysées, alter Oper und Präsidentenpalast teilt sich der 31jährige mit seinem Vater. Dort wohnt er auch. Und dort, hinter seinen Schreibtisch verbarrikadiert, empfängt er seine Besucher. Um ihn herum stapeln sich einem Schutzwall gleich Berge von Akten. Die Regale sind mit Büchern überladen. Im Flur stehen, von den Kronleuchtern bestrahlt, reihenweise alte Ausgaben von Stendhal – Arno Klarsfelds Lieblingsautor. Neben seinem Schreibtisch hängt zwischen einer Reihe anderer Familienfotos ein großes Bild von Beate Klarsfeld, auf dem sie den kleinen Arno im Arm hält.

Die Frage nach der Aufnahme scheint schon zu intim. Wie alle persönlichen Fragen. Sie sind ihm unangenehm. Er antwortet ausweichend und meidet dabei jeden Blickkontakt. Vielleicht sind die entstandenen Klischees nützlicher, als man denkt? Sie verhindern zumindest, daß zuviel an der Fassade gekratzt wird. Entschieden wehrt sich Klarsfeld dagegen, daß er mit seiner Familiengeschichte unausweichlich in die Fußstapfen seiner Eltern habe treten müssen. Es stimme nicht, schließlich sei er auch Schriftsteller und habe kürzlich seinen zweiten Roman veröffentlicht. Wenn er als Anwalt das gleiche wie sein Vater mache, dann ganz bestimmt nicht aus irgendwelchen Zwängen heraus, entrüstet er sich und malt dabei kleine geometrische Formen auf ein leeres Blatt Papier: „Ich mag Verpflichtungen nicht. Wenn ich mich verpflichtet fühlte, würde ich was anderes machen. Vielmehr ist das eine interessante und gerechte Sache.“

Doch kann man sich wirklich unbefangen dem Erbe eines Großvaters entziehen, der sich 39jährig 1942 der Gestapo auslieferte, um Frau und Kinder zu retten, die er zuvor hinter einer Doppelwand im Schrank versteckt hatte? Dem Erbe seines Vaters, der sein Leben als Historiker und Anwalt dem Gedenken an die Deportation der Juden widmet, und dem einer deutschen Mutter, die wie kaum eine andere unermüdlich für die Bestrafung ehemaliger Nazigrößen kämpfte? – Arno Klarsfeld jedenfalls tut so, als sei das möglich. Schließlich sei seine Jugend nicht ausschließlich von der Shoa erfüllt gewesen. „Zu Hause haben wir nicht nur über Mengele gesprochen. Und wir haben auch von anderen Juden geredet als von jenen, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind, etwa von Groucho Marx oder Charlie Chaplin.“

Das enge Verhältnis zu seinen Eltern ist ungebrochen – nicht zuletzt oder gerade wegen ihres großen Engagements: „Ich liebe Beate für die Ohrfeige, die sie Kiesinger gegeben hat. Und Serge dafür, daß er das Bild, das man sich von Vichy machte, korrigiert hat.“ Die Eltern hätten ihn gelehrt, „daß man mit Energie und Begeisterung über sich hinauswachsen und große Dinge tun kann“ und „daß das Individuum eine große Macht hat“. Als Kind hat Arno häufig seine Mutter bei ihren spektakulären Aktionen begleitet, etwa als Beate Klarsfeld 1968 dem damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger öffentlich eine Ohrfeige für seine Nazivergangenheit verpaßte. Eine Geste, die Geschichte machte.

Von der Mutter hat Arno den Hang zum Aktionismus geerbt: 1987 marschierte er mit einem T-Shirt, auf dem „Le Pen = Nazi“ stand, zu einer Kundgebung der rechtsextremen Front National (FN). Ein Jahr später reiste er nach Wien, um gegen ein Treffen von Papst Johannes Paul II. mit dem österreichischen Präsidenten Kurt Waldheim zu protestieren. Weil er in Anspielung auf Waldheims NS-Vergangenheit eine SS-Uniform trug, wurde er verhaftet. Während des Golfkriegs versteckte er sich in einem Lastwagen, um über Jordanien in den Irak zu kommen. Dort wollte er „den westlichen Geiseln helfen“. An der Grenze wurde er entdeckt und zurückgeschickt.

Was spektakuläre Aktionen angeht, hat Klarsfeld junior seine eigene Theorie: „Man respektiert die Handlungen von Leuten oder ihr Vermögen. Da ich kein Vermögen habe, muß ich handeln.“ Was Arno Klarsfeld Respekt nennt, kann auch Macht heißen. Die läßt sich, wenn man nicht außergewöhnlich gut betucht ist, vor allem dadurch erreichen, daß man bekannt wird. „Berühmtheit ist eine Waffe“ gestand er vor zwei Jahren der Tageszeitung Libération.

„Ich bin kein Anarchist. Aber ich will frei sein, um mein Leben selbst zu entscheiden. Ich möchte nicht in einer Gruppe aufgehen, sondern meine Individualität bewahren. Ich möchte mich nicht verändern müssen. Das, was die anderen denken, ist mir natürlich nicht ganz egal, aber was für mich wirklich zählt, ist das, was ich von mir halte.“ Klarsfeld gibt sich kompromißlos. Diese Haltung irritiere andere, „denn in der Gesellschaft sind die Eitlen besser akzeptiert. Eitelkeit signalisiert den anderen: Schaut mich an, ich brauche euch.“ Er sei aber stolz und nicht eitel: „Stolz bedeutet: Gut, ich höre, was ihr sagt, aber das, was wirklich zählt, ist das, was ich selber von mir denke.“

Es ist die ausgeprägte Eigenwilligkeit Klarsfelds, die seine Kollegen im Papon- Prozeß hinter den Kulissen genauso gegen ihn aufbringt wie einst seine Mitstreiter im Touvier-Verfahren. Vor Gericht läßt er seinen Gefühlen freien Lauf und vermittelt dadurch den Eindruck eines äußerst engagierten Anwalts: „Ich empfinde die Dinge nach, für die ich mich einsetze. Wenn das nicht so ist, engagiere ich mich nicht“, erklärt er sein Verhalten.

Doch er ist viel zu klug, um sich vor allem auf sein Gefühl zu verlassen. Auch jene, die ihn immer noch für einen zwar hochintelligenten, aber unreifen und schwer erträglichen Jungen halten, müssen zugeben, daß er ein Arbeitstier ist. Mit preußischem Pflichtbewußtsein durcharbeitet er wieder und wieder die Unterlagen, bis ihm auch das allerletzte Detail präsent ist. Bestens vorbereitet und hoch konzentriert stellt er im Gericht seine Fragen. So gelingt es ihm immer wieder, Zeugen, die zugunsten Papons aussagen, zu verunsichern und – kleiner Nebeneffekt am Rande – den Prozeß medienwirksam in Schwung zu halten.

In den ersten Prozeßtagen, nach der Freilassung Papons für die Dauer des Verfahrens, kündigte Klarsfeld lautstark seinen Ausstieg aus dem Prozeß an – um in der darauffolgenden Woche wieder zwischen seinen Kollegen von der Nebenklage im Schwurgericht von Bordeaux Platz zu nehmen. Außerdem ist er einer der wenigen, die der Meinung sind, daß Papon nicht mit der Höchststrafe verurteilt werden kann. „Er hat die Jagd auf die Juden nicht gestartet, aber er hat akzeptiert, sie zu führen“, erklärt Klarsfeld. Seine Haltung dem Angeklagten gegenüber ist von Verachtung geprägt: „Ein Egoist“ sei der 87jährige, „ein Lügner, eigensinnig, arrogant, böse und dem menschlichen Leid gegenüber völlig gleichgültig“. Papon ist in Klarsfelds Augen für sein Tun „verantwortlich“, denn: „Das ist ein Mann, der in der Dritten Republik mit den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aufgewachsen ist und der sich in Situationen wiederfand, die im Widerspruch zu seiner Erziehung standen. Er hatte eine klare Vorstellung von dem, was gut ist, und von dem, was schlecht ist. Und er hat sich ganz bewußt für das Schlechte entschieden.“

Für Klarsfeld steht fest, daß Papon verurteilt werden wird. Damit geht dann der wohl letzte große Vichy-Prozeß in Frankreich zu Ende. Und Arno Klarsfeld muß sich eine neue Aufgabe suchen. Es wäre naheliegend, sich der schriftstellerischen Neigung zu widmen. Doch vor der Entscheidung – Anwalt oder Schriftsteller – drückt er sich. Kein Wunder. Die Chancen berühmt zu werden, sind zumindest zur Zeit für den Anwalt Arno Klarsfeld ungleich höher als für den Schriftsteller. In seinem jüngsten Roman, in dem es um den Völkermord in Ruanda geht, schreibt er: „Die Verbrecher gegen die Menschlichkeit sind nicht am Aussterben, im Gegenteil.“s

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