Armin Petras inszeniert „Das kalte Herz“: Die ausgelaugte Welt
In seiner ersten Spielzeit am Schauspiel Stuttgart inszeniert Armin Patras „Das kalte Herz“. Hauffs Märchen über den Schwarzwald und das Reichwerden.
Nun sind sie also Stuttgarter. Viele der Schauspieler, deren Porträtfotos in der Kassenhalle des Schauspiels Stuttgart hängen, spielten vor Kurzem noch in Berlin am Maxim-Gorki-Theater und wechselten mit dem Intendanten Armin Petras die Stadt. Einer von ihnen, Peter Kurth, kommt im Mai nach Berlin als „Onkel Wanja“ zurück, eingeladen zum Theatertreffen.
Auch sonst ist Petras’ bisherige Bilanz der ersten Spielzeit gut, was die Aufmerksamkeit und die Auslastungszahlen angeht. Auch dank vieler Klassiker- und Schulstoff-Inszenierungen, die Petras vom Gorki und von anderen Theatern nach Stuttgart mitnehmen konnte.
Zu seinem Konzept aber gehört, das Gewordensein einer Stadt und einer Region auf Erzählungen und Spielanlässe abzuklopfen. Mit dem Märchen „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff war so eine Tiefenbohrung geplant. Hauff, in Stuttgart geboren, erzählt vom armen Köhlersohn Peter Munk, der endlich auch einmal einen solchen Schlag bei den Mädchen haben will wie der Tanzbodenkönig oder so viel Geld wie der reiche Ezechiel.
Dabei helfen ihm zwei konkurrierende Waldgeister: das Glasmännlein und der Holländermichel. Sie stehen für zwei konkurrierende Industrien, die Glasbläserei und das Holzgeschäft. Letztendlich ist Hauffs Märchen deshalb auch eine Geschichte voller Trauer über die Verdrängung einer Ökonomie durch die folgende, die als geldgierig, grausam und hartherzig beschrieben wird.
Waldmenschen in Fastnachtstrachten
Das Glasmännlein ist in der Stuttgarter Inszenierung eine Frau (Berit Jentzsch) in einem grünen Tanztrikot, die, begleitet von Waldmenschen (Schauspielstudierende), in zotteligen, rauen Fastnachtstrachten um Peter Munk herumspringen. Als solche unheimlichen wilden Männer sieht man auch das Ensemble selbst in schwarz-weißen Filmbildern durch den Schwarzwald geistern, sehr stimmungsvoll und expressionistisch.
Der Holländermichel (Wolfgang Michalek) dagegen kommt allein, schwarzer Mantel, schwarze Melone, Sonnenbrille. Nüchtern, kaufmännisch, rational ist sein Gestus. Dass dies nur eine Tarnung ist, um sich Peters Herz einzuverleiben – das eben macht das Märchen zum Märchen.
Im Heft zu seiner ersten Stuttgarter Spielzeit fragte Petras in einem Text, mit dem er sich dem Publikum vorstellt, woher die Regenerationsfähigkeit heutiger Gesellschaften kommen soll, die Jahrhunderte lang vor allem erfolgreich darin waren, „sich Welt und damit die Ressourcen dieser Welt einzuverleiben“ und nun das Problem haben, „vor einer ausgelaugten Welt zu stehen“. Er hofft, dass das Theater eine Werkstatt sein kann, um andere Weltbilder zu überprüfen.
Die Suche nach anderen Traditionen
Im „Kalten Herz“ fängt er gleich damit an. Nicht nur im romantischen Kunstmärchen nach anderen Weltbildern zu suchen, sondern auch in einer Traditionspflege, wie sie eine Volkstanzgruppe und der Schwäbische Albverein pflegen. Sie vertreten auf der Bühne die Dorfgemeinschaft und holen in einer langen Szene dann auch noch das Publikum zu ihren Kreistänzen und Polonaisen auf die Theaterbühne.
Das Ende des Märchens wird dreifach erzählt: Es gibt den gütigen Schluss von der alten Märchenschallplatte für Kinder; es gibt den moralisierenden Schluss von den Schauspielern vorgetragen, die mit anklagenden Gestus ins Stuttgarter Publikum blicken, all jene eingemeindend, die wie Peter dem Geld nachjagen.
Und es gibt den esoterischen Schluss vom Albverein, in dem Peter Munk in einen ritualisierten Schwerttanz aufgenommen wird. Aber keines der drei Modelle scheint wirklich tragfähig. Tatsächlich hat die Inszenierung ihre stärksten Momente in der Performanz der Schauspieler.
Etwa, wenn der Holländermichel dem verunsicherten Kohlenmunk, der mit nichts seine Zufriedenheit findet, sein lebendiges Herz abschwatzt – sachlich, vernunftbetont, nie dramatisch auftrumpfend, im Diskurs dem Hinterwäldler mindestens zwei Zeitalter voraus.
Kein anderer Blick auf die Erzählung
Doch neben derartiger Schauspiel- und Inszenierungskunst setzt die Aufführung eben viel, das für die Öffnung zu anderen kulturellen Codes und Traditionen stehen will. Die Volkstanzgruppe bringt zwar Schwung in die Bude, man schaltet um auf ein anderes Level von Energie; aber es öffnet sich kein anderer Blick auf die Erzählung.
Das Nebeneinander der Kunstformen bleibt ein Nebeneinander und funktioniert nicht als Fenster in andere Wirklichkeiten und ihre Konstruktionen.
Eigenartig aber war: Am Sonntag nach der Premiere, beim Spaziergang durch Stuttgart, auf der Suche nach einem Flecken Stadt, der nicht von Kauf- und Autohäusern definiert ist, sah ich die Trachten der Tanzgruppe wieder auf einer Tafel, die für ein Volksfest im Stadtteil Bad Cannstatt wirbt, und las am Rathaus dort, dass die Holzbalken seines Fachwerks aus dem Schwarzwald gekommen sind, wie bei Hauff beschrieben.
Das jahrhundertealte Volksfest wurde erst vor wenigen Jahren wieder eingeführt, das Fachwerk kürzlich wieder sichtbar gemacht. Geschichte ist in Stuttgart nicht einfach gegenwärtig; es bedarf der Anstrengung, sie zu berühren. Insofern passt „Das kalte Herz“ dann doch zur Stadt.
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