Armenien-Resolution im Bundestag: Deutsch-türkische Geschichtsstunde
Die Abstimmung ist vor allem heikel für Abgeordnete aus Wahlkreisen, in denen viele türkischstämmige Bürger leben. Proteste gab es bereits.
Anders als bei vielen anderen brisanten Themen ist in diesem Fall keine namentliche Abstimmung vorgesehen. Der Bundestag wird nicht dokumentieren, wie die einzelnen Abgeordneten abstimmen. Alle vier Fraktionen im Parlament haben sich darauf geeinigt, auf das ausführliche Verfahren zu verzichten.
Dazu gebe es keine Veranlassung, heißt es aus SPD und Union. Man gehe ohnehin von einer breiten Mehrheit aus, heißt es aus der Linksfraktion. Dass es noch einen weiteren Grund gibt, deutet lediglich Grünen-Chef Cem Özdemir an. „Ich habe auch von Sorgen und Nöten gehört, die einzelne Abgeordnete haben“, sagt er.
Es geht um den Druck, den vor allem Gegner der Resolution vor der Abstimmung aufbauen. In den Bundestagsbüros gehen in diesen Tagen massenhaft E-Mails zum Thema Genozid an den Armeniern ein. Viele sind sachlich, manche enthalten nach Angaben aus dem Parlament aber auch Drohungen. Die Abstimmung am Donnerstag ist daher heikel – speziell für Abgeordnete aus Wahlkreisen, in denen viele türkischstämmige Bürger leben.
Proteste gegen Abstimmung
Unter diesen ist die Resolution nämlich besonders umstritten. In dem dreiseitigen Text heißt es, die „planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million ethnischer Armenier“ in den Jahren 1915 und 1916 stehe beispielhaft für „die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, ja der Völkermorde“. Auch das Deutsche Reich trage dafür Verantwortung: Es habe „als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs nicht versucht, diese Verbrechen zu stoppen“.
Gegen die Resolution demonstrierte schon am vergangenen Samstag ein Bündnis deutsch-türkischer Verbände vor dem Reichstagsgebäude. Ihr Motto: „Der Bundestag ist kein Gericht.“ Für Mittwochabend ist eine weitere Demonstration angemeldet. Zudem kursiert im Internet ein Musterschreiben, das Gegner der Resolution an Fraktionen und Abgeordnete schicken sollen. Darin heißt es unter anderem, die Resolution sei „Gift für das friedvolle Zusammenleben zwischen Deutschen und Türken“.
Dass Interessengruppen vor wichtigen Abstimmungen auf diese Weise Druck auf das Parlament machen, ist nicht ungewöhnlich. Bei harmlosen Zuschriften bleibt es im Fall der Armenien-Resolution aber nicht. „Wer wie ich für die Resolution wirbt, wird mit Morddrohungen und Beschimpfungen überzogen. In dem Ausmaß habe ich das bisher bei keinem anderen Thema erlebt“, sagt die Bochumer Abgeordnete Sevim Dağdelen (Linkspartei). Am Dienstagmittag kündigte sie per Videobotschaft auf ihrer Facebook-Seite an, für die Resolution zu stimmen. In einem der harmloseren Kommentare dazu bezeichnet sie ein Nutzer als PKK-Terroristin.
Auf der Facebook-Seite der Hagener CDU-Abgeordneten Cemile Giousouf sind solche Kommentare bislang nicht zu lesen. Sie hat sich in der Debatte über die Resolution bisher zurückgehalten und sagt: „Als der Bundestag über die Regulierung von E-Zigaretten abgestimmt hat, bekam ich mehr E-Mails als jetzt.“ Dennoch erhalte auch sie nun Zuschriften. Das Thema Genozid an den Armeniern werde „von beiden Seiten emotional diskutiert“.
Unabhängig davon wollen beide Abgeordnete der Resolution zustimmen. „Um der Opfer zu gedenken und nicht, um die Türkei zurechtzuweisen“, betont Giousouf. „Um die türkische Zivilgesellschaft zu unterstützen, die bei der Aufarbeitung viel weiter ist als ihre Regierung“, sagt Dağdelen.
Blick auf Merkel
Andere türkischstämmige Abgeordnete tun sich mit der Resolution schwerer. Der Duisburger MdB Mahmut Özdemir zum Beispiel kündigte in der ARD an, nicht an der Abstimmung teilzunehmen. Aus Rücksicht auf seine Wähler? In der Woche nach der Bundestagswahl 2013 hatte er in Duisburg an einer Veranstaltung der Union Europäisch-Türkischer Demokraten teilgenommen und sich für seine Wahl bedankt. Die Organisation unterstützt den türkischen Präsidenten Erdoğan und ist gegen die Armenien-Resolution. Zwei Gesprächsanfragen der taz lehnte der SPD-Abgeordnete Özdemir „aus terminlichen Gründen“ ab.
Problematisch ist die Abstimmung auch für die deutschstämmige Abgeordnete Angela Merkel aus dem Wahlkreis Vorpommern-Rügen. In ihrer Funktion als Bundeskanzlerin hat sie bekanntlich regen Kontakt mit der Regierung in Ankara. Der neue türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım beschwerte sich am Dienstagvormittag in einem Telefonat bei ihr: Die geplante Resolution enthalte „haltlose und ungerechte politische Urteile“. Auch Präsident Recep Tayyip Erdoğan schaltete sich ein. Ein Beschluss in Punkto Völkermord könne das Verhältnis der beiden Nato-Partner beschädigen, sagte Erdoğan am Dienstag.
Immerhin: Um die Abstimmung am Donnerstag wird Merkel herumkommen – dank einer geschickten Terminplanung im Kanzleramt. Laut Tagesordnung beginnt die Armenien-Debatte im Bundestag um 11.10 Uhr, die Abstimmung folgt eine Stunde später. Die Bundeskanzlerin spricht derweil zwei Kilometer entfernt auf einer Konferenz in der Hauptstadtrepräsentanz der Telekom. Ihr Vortrag auf der ganztägigen Veranstaltung ist ausgerechnet für 11.40 Uhr eingeplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen