■ Querspalte: Arm und krank
Nach der gescheiterten Fusion von Berlin und Brandenburg wird gezetert, denn das blöde Volk hat mal wieder falsch gewählt und die Herrschenden schwer enttäuscht. Da soll es sich schämen und nicht wundern, wenn die Herrschenden sehr böse sind und Westhumoristen des Volkes Fehlentscheidung mit treffsicherem Humor aufs Korn nehmen.
Was heißt überhaupt Volk und Bürger? Brandenburger waren es, Ostler, die mit den antizivilisatorischen Ressentiments ihres schlichten Sklavengemüts die Wonnen neuer Vereinigungen ablehnten. „Ich glaube, wenn man die (Brandenburger) gefragt hätte, wollt ihr lieber reich und gesund als arm und krank sein, dann hätten sie auch lange überlegt und möglicherweise arm und krank gewählt“, analysierte TV-Autor Wolfgang Menge („Motzki“) treffend. Die 47 Prozent vereinigungsunwilligen Westberliner stimmt das natürlich besonders traurig, denn sie hatten ja Angst, im Falle einer Vereinigung zu verosten und zu verarmen. Man kennt sich halt noch zu wenig. Hätte man als vereinigungskritischer Berliner gewußt, daß der kuhäugige Brandenburger mit Freude stets seinen Nachteil begrüßt, hätte man wohl zu 90 Prozent für die Vereinigung gestimmt.
Solch luziden Gedanken hängt der Autor Menge allerdings nicht nach: „So dämlich darf man gar nicht sein“, meint er, und gegen das Tohuwabohu in den Brandenburger Köpfen sei BSE „ein Klacks“. Wenn die zu dumm sind, sich für ihren und unseren Vorteil zu entscheiden, dann sollte man sie doch eventuell ins demokratische Wahlentscheidungshilfslager schicken. Das hat noch keinem geschadet.
Übrigens jährte sich am 7. Mai eine legendäre Schlagzeile der leider eingegangenen Super-Zeitung, die immer noch treffsicher ein Schlaglicht auf den Stand der Ost-West-Dinge wirft und auch ganz gut paßt zum hübschen Vereinigungswerbeplakat, auf dem ein nacktes Ost-und- West-Kinder-Pärchen fröhlich Doktor spielte: „West-Frau lachte über nackten Ossi – Kehle durchgeschnitten.“ Detlef Kuhlbrodt
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