Argwohn gegen WM in Katar: Im Modus der Entrüstung
Nach drei WM-Minuten scheint klar: Auch die Schiedsrichter sind gekauft. Vom Problem eigener Vorurteile, nicht alles gleich für Fake zu halten.
E cht jetzt? Das soll kein Tor gewesen sein? Drei Minuten war dieses Turnier erst alt, da konnte man sich nach dem Anpfiff des Eröffnungsspiels schon bestätigt fühlen. Ein Schmierentheater, diese ganze Weltmeisterschaft! Der frühe Rückstand von Katar durch einen Kopfball von Valencia durfte natürlich nicht wahr sein. Kein Wunder also, dass der Treffer der Videoüberprüfung, die erst einmal nicht transparent gemacht wurde, nicht standhalten konnte.
In den sozialen Netzwerken wurde sofort geargwöhnt, dass da wohl ein katarischer Prinz im VAR-Keller sitzen und hinter dieser Abseits-Entscheidung stehen müsse. Korruptions-WM, klar doch, twitterten andere. Und man sah sich in seinen eigenen Zweifeln mehr als bestätigt. Was an diesem gekauften Fußball ist noch echt? Die Fans vor Ort sind es nicht immer, hat man gerade erst gelernt. Und bei den Toren kann man sich natürlich auch nicht mehr sicher sein. Ein guter Schuss Fatalismus mengte sich in die Einschätzungen hinein.
Mit einiger Verzögerung wurden dem TV-Publikum – im Al-Bayt-Stadion ging es offenbar schneller – die Bilder nachgereicht, die mithilfe der kalibrierten Linie nachvollziehbar zeigten, dass da ein ecuadorianischer Fuß im Abseits stand. Hmm, nun ja, war vielleicht doch richtig.
Und gab es beim letzten großen Fußballturnier, der Europameisterschaft der Frauen, nicht auch recht merkwürdige Schiedsrichterentscheidungen, die den Gastgeber aus England zum Titel führten und die Euphorie rund um das Turnier am Laufen hielten? Von einer Korruptions-EM wurde damals nicht getwittert. Vielmehr wurden die aufgeregten Gemüter beruhigt, dass man im Fußball auch mit Ungerechtigkeiten zurechtkommen müsse.
Die durchaus begründeten Korruptionsverdächtigungen bei einem Turnier in Katar nehmen schnell noch eine andere Wucht an, wenn sie durch ein europäisches Überlegenheitsgefühl verstärkt werden, das alles eigentlich besser zu können. Eine kaligrafische Linie zwischen berechtigten Zweifeln und rassistischen Vorbehalten gibt es nicht.
Letztlich war der WM-Auftakt ein ganz normales WM-Auftaktspiel, das nur ein wenig miserabler als sonst ausfiel und in dem der Schiedsrichter die teils überharten Katarer regelkonform mit vier gelben Karten und einem Elfmeter bestrafte. Von Parteilichkeit zugunsten des Gastgebers keine Spur. Es ist aber auch wirklich nicht einfach, aus dem Modus der Entrüstung herauszukommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei