Argentinien: Der Verräter im Priestergewand

Kaplan Christian von Wernich half Gefangenen, die ihn um Hilfe baten nicht. Denn der Priester stand im Dienst von Argentiniens Polizei. Nun steht er vor Gericht.

In schusssicherer Weste auf der Anklagebank: Christian von Wernich. Bild: rtr

BUENOS AIRES taz Argentinien ist ein katholisches Land. Nur Katholiken dürfen Präsident werden, so steht es in der Verfassung. In den Gerichtssälen hängen die Kruzifixe hinter den Richtern und neben den Nationalfahnen. Das Kreuz an der Wand im Tribunal Oral Federal 1 in La Plata hängt etwas schief - so fällt der Blick des Gekreuzigten direkt auf die Anklagebank. Von seinem Platz aus könnte Christian von Wernich also in das Antlitz des Erlösers schauen. Aber der katholische Priester zieht es vor, nicht an der Verhandlung gegen ihn teilzunehmen.

Der Fall: Christian von Wernich (69) war zu Diktaturzeiten Polizeikaplan der Provinz Buenos Aires. Er hatte Zugang zu geheimen Gefangenenlagern. Unterstellt war er dem damaligen Chefermittler der Provinzpolizei, Miguel Etchecolatz, der im September 2006 wegen Mordes, Freiheitsberaubung und Folterung politischer Gefangener zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Gleichzeitig war von Wernich Beichtvater von Polizeichef Ramón Camps, der verantwortlich für die geheimen Folterlager war. Ehemalige Gefangene werfen Wernich vor, er habe seine Stellung als Priester genutzt, um die Verschleppten zu Aussagen und Beichten zu veranlassen und diese dann weiterzugeben.

Die Anklage: von Wernich wird die Beteiligung an sieben Morden, 31 Fällen von Folter und

42 Entführungen vorgeworfen.

Das Strafmaß: Die Anklage forderte lebenslange Haft. JV

Seit Anfang Juli wird Christian von Wernich der Prozess gemacht. Angeklagt ist er der Beteiligung an sieben Morden, 31 Fällen von Folter und 42 gewaltsamen Entführungen. Für Montag, spätestens Dienstag wird das Urteil erwartet.

Nur an den ersten Verhandlungstagen erschien von Wernich im Saal. Mit schusssicherer Weste saß er hinter einer Glasscheibe auf der Anklagebank und rückte fortwährend seinen Priesterkragen zurecht. Dann nahm er sein Recht in Anspruch, nicht anwesend sein zu müssen. Seither sitzt er an den Verhandlungstagen auf Abruf in einer Zelle im Gerichtsgebäude, während die Zeugen ihre Aussagen machen darüber, wie von Wernich in den Siebzigerjahren seine Stellung als Gefängnispfarrer ausgenutzt und Gefangene der Militärjunta bei der Beichte ausgehorcht hat. Und wie er später die Folter und das Töten als von Gott gewollte Taten gerechtfertigt hat.

Wernich wurde 1938 geboren, er ist deutscher Abstammung. 1976, nachdem sich das Militär an die Macht geputscht hatte, ernannte die katholische Kirche den Priester Cristian von Wernich zum Kaplan der Polizeiprovinz Buenos Aires. In dieser Funktion war er dem Chefermittler Miguel Etchecolatz unterstellt. Etchecolatz wiederum unterstand direkt dem Polizeichef der Provinz, Ramón Camps. Camps hatte die Verantwortung für die geheimen Gefangenen- und Folterlager der Diktatur in der Provinz. Die drei bildeten ein tödliches Trio.

Im Schutzglas im Gerichtssaal spiegeln sich die weißen Kopftücher der Mütter der Plaza de Mayo. Sie verfolgen den Prozess. "Wir hatten eine Diktatur, und der Diktator kam sich vor wie der Messias", sagt Zulema Castro mit Tränen in den Augen. "Nicht nur heute, ich weine seit dreißig Jahren, jeden Tag. Alles, was ich hier höre, kommt mir vor, als hätten sie das meinen Kindern angetan." Die 87-Jährige sitzt wie immer in der ersten Reihe. Wie die anderen Mütter, die auf der Plaza de Mayo seit dreißig Jahren ihre Runden drehen, weiß auch sie bis heute nicht, wo zwei ihrer Kinder sind. Sie verschwanden während der Militärdiktatur, die von 1976 bis 1983 in Argentinien herrschte.

Zehn Staatsanwälte und Anklagevertreter sind im Saal. Es sind so viele Anwälte, weil es 30.000 Opfer der Diktatur gibt. "In Argentinien hat es einen Völkermord gegeben", sagt Myriam Bregman entschlossen, "unser Ziel ist es, Wernich als wesentlich an diesem Völkermord Beteiligten zu zeigen", so die Rechtsanwältin. Aber "die Kirche hatte viele solcher Kapläne gestellt, die in den geheimen Gefangenenlagern wirkten".

Von der katholischen Kirche gibt es bis heute keine Stellungnahme dazu, wie groß der Anteil war, den ihre Geistlichen an den Morden und Entführungen dieser Jahre hatten. Im offiziellen Sprachgebrauch ist von Aussöhnung und Verzeihen die Rede, aber nicht von Gerechtigkeit. Wernich selbst bestreitet nicht, Gefangene in den Kommissariaten besucht zu haben; stets sei er von der Rechtmäßigkeit der Verhaftungen ausgegangen. In Geheimlagern aber sei er nie gewesen. Zeugen wie Mona Moncalvillo erinnern sich anders.

Im Dezember 1976 war ihr Bruder Domingo zusammen mit sechs weiteren Mitgliedern der peronistischen Stadtguerilla Montonero in La Plata inhaftiert. Drei Monate lang wusste Mona Moncalvillo nicht einmal, wohin man ihn gebracht hatte. Dann nannte ihr ein Polizist seinen Aufenthaltsort, und sie durfte ihn mehrfach im Polizeigefängnis in La Plata besuchen. Mindestens zweimal habe sich ihr dort ein Priester mit dem Namen Christian von Wernich vorgestellt, schildert sie dem Gericht. Durch ihn habe sie auch erfahren, dass Polizeichef Camps die Häftlinge für fünf Jahre ins Gefängnis werfen wolle, dass sie aber die Haft umgehen könnten, wenn sie das Land verließen. "Mein Bruder erzählte mir, er sei brutal gefoltert worden", so die Zeugin, und dass bei diesem Gespräch Wernich anwesend gewesen sei. Der habe ihrem Bruder geistlichen Beistand angeboten - in Wahrheit habe er ihn ausgehorcht.

Tatsächlich war den sieben versprochen worden, sie könnten freikommen, wenn sie das Land verließen. Drei von ihnen würden nach Uruguay, drei nach Brasilien und einer nach Chile ausreisen. Die Rolle von Wernichs, so die Anklage, sei es gewesen, den Kontakt zu den Familien herzustellen, von ihnen Geld zu verlangen und die sieben Häftlinge zu begleiten - bis zu ihrem längst beschlossenen Tod.

"Von Wernich kam zu uns nach Hause", sagt die Zeugin Adriana Idiart, deren Schwester Cecilia unter den sieben war. "Er brachte uns Briefe von Cecilia und nahm Essen für sie und die anderen sechs mit." Dann bat er die Familie um Geld. Er sagte, es sei für Cecilias Pass und dass er sie und die anderen bis zu ihrer Ausreise begleiten werde. "Der Priester verlangte Geld von meiner Mutter, um Cecilia aus dem Land zu bringen", so Adriana Idiart. "Sie gab ihm 1.500 Dollar. Als der Tag der Reise näherrückte, forderte er uns auf, Kleidung vorzubereiten. Meine Mutter kaufte einen Koffer, Taschen und neue Wäsche." Sie hat Cecilia nie wiedergesehen.

1984 sagte der ehemalige Polizist Julio Emmed vor der Conadep, der Kommission über das Verschwinden von Personen, aus, er habe damals die sieben aus der Haft in La Plata abgeholt und sei dabei gewesen, als sie in der Nähe der Stadt erschossen wurden. Ihre Leichen seien dann verbrannt worden. Wernich habe später zu ihm gesagt, er müsse seine Tat nicht bereuen - es sei "gottgeweihtes Blut" geflossen, Gott vergebe diese Morde. Emmed selbst kann nicht mehr aussagen, er ist verstorben.

Noch Jahre nach der Diktatur lebte von Wernich in Freiheit. Die Militärs hatten sich durch zwei Amnestiegesetze Straffreiheit verschafft, auch von Wernich profitierte davon. Bis 1996 war er Pfarrer in der Provinz Buenos Aires, dann ging er nach Chile, wo er bis 2003 unter dem Namen Cristian González als Priester lebte. Dort wurde er von einem argentinischen Journalisten aufgestöbert. Seit September 2003 sitzt von Wernich in argentinischer Haft, die Anklage forderte "lebenslänglich".

Plötzlich Unruhe im Saal, Beamte laufen hektisch auf und ab, Kamerascheinwerfer leuchten auf. Ein Zeuge hat gebeten, den Angeklagten sehen zu dürfen. Der Richter ordnet an, von Wernich in den Saal zu führen, er warnt vor demonstrativen Gesten. Die Livebilder werden landesweit ausgestrahlt, wie immer, wenn etwas Aufsehenerregendes in diesem Prozess geschieht. In Handschellen wird von Wernich hereingeführt. Groß, grauer Haarkranz, der Priesterkragen lugt aus der schusssicheren Weste heraus. Stille. Von Wernich blickt sich um, der Richter fragt, der Zeuge bestätigt: Das ist der Geistliche, den er während seiner Haft gesehen hat. Nach einer Minute ist alles vorbei.

Zulema Castro, die Frau von der Plaza de Mayo, schaut zu. Wie stets seit einem Jahr trägt sie ihr weißes Kopftuch. "Anfangs kamen wir ohne Kopftuch, es war verboten, und wir mussten es abnehmen", erzählt die 87-Jährige. Politische Symbole waren im Saal strengstens untersagt. Bis vor einem Jahr. Im Prozess gegen von Wernichs Vorgesetzten Miguel Etchecolatz ließ das Gericht die Kopftücher zu mit der Begründung, Argentinien sei nicht nur ein katholisches Land. So wie das Kreuz im Gerichtssaal einen bedeutenden Teil der Gesellschaft repräsentiere, so repräsentiere das Kopftuch, das Symbol der Madres, einen weiteren.

Das Kreuz im Saal hängt noch immer etwas schief. Findet Zulema Castro es gerecht, dass der Angeklagte den Verteidiger hat, den ihre Kinder nie hatten? "Ich nenne ihn einen Feigling. Das habe ich dem gesagt, der da statt seiner sitzt", antwortet sie und deutet auf von Wernichs Verteidiger. "Aber den Tod wollen wir für niemanden. Denn wir Mütter wissen, was der Tod bedeutet."

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