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ÖFFENTLICHER DIENST: DIE PROBLEME SIND NICHT PER TARIFVERTRAG LÖSBARDer Staat ist keine Mega-ABM

War Ver.di zu bescheiden? Hätte die Gewerkschaft lieber 6 statt 3 Prozent mehr Geld verlangen sollen? Oder war es dreist, überhaupt eine höhere Bezahlung für den öffentlichen Dienst zu verlangen? Die Fragen, die Tarifparteien und Publikum derzeit mit Hingabe diskutieren, sind falsch gestellt. Die Probleme des öffentlichen Dienstes und der staatlichen Defizite lassen sich nicht mit einer reinen Gehaltsrunde lösen. Die Aufgabe ist größer.

Bislang war der öffentliche Dienst so konstruiert, dass er nur bei stetigem Wachstum funktionsfähig blieb. Weil aber heute jeder weiß, dass die Zahl der Staatsdiener nicht immer weiter steigen kann, muss das System endlich an die neuen Verhältnisse angepasst werden. Beispiel Beamte: Als der Staatsdienst in den Siebzigerjahren in rasantem Tempo expandierte, galten sie als ausgesprochen billig – denn anders als bei Angestellten oder Arbeitern musste der Staat für das Heer der neu eingestellten Beamten keinen Pfennig an Rentenbeiträgen aufbringen. Dass er stattdessen die Pensionäre alimentiert, interessierte damals niemanden, schließlich war ihre Zahl noch überschaubar. Nur: Das hat sich mitterweile längst geändert. Und deshalb wird es höchste Zeit, dass auch die Beamten in die Sozialversicherung einzahlen.

Es geht aber auch um die Frage, ob die Staatsdiener ihre sicheren Jobs nicht auch mit einem höheren Maß an Flexibilität bezahlen müssen. Viele Länder und Kommunen stehen vor dem Problem, dass sie eigentlich neues Personal bräuchten – zum Beispiel an Schulen oder für soziale Aufgaben. Sie können dieses Personal aber nicht einstellen, weil überzählige Beschäftigte, etwa in der Verwaltung, weiter bezahlt werden müssen. Bisher sind die Möglichkeiten höchst beschränkt, Beamte oder Angestellte zur Übernahme einer neuen Aufgabe zu zwingen. An den Theatern beispielsweise ist es noch nicht mal einmal möglich, dass ein Tischler aus der Werkstatt sein Bühnenbild am Abend der Vorstellung auch selbst aufbaut – denn dafür sind laut Tarifvertrag die Bühnenarbeiter zuständig.

Manche Gewerkschafter argumentieren noch immer so, als handele es sich beim öffentlichen Dienst um eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die den Arbeitsmarkt von rund drei Millionen Beschäftigten entlastet. Tatsächlich aber muss es um die Frage gehen, was der öffentliche Dienst leisten soll – zum Beispiel Schüler zu unterrichten, Kranke zu pflegen oder Feuer zu löschen. Wenn diese Frage erst einmal im Mittelpunkt steht, dann wird keiner mehr den Krankenpflegern oder Feuerwehrleuten ihre bescheidene Gehaltserhöhung streitig machen. RALPH BOLLMANN

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