: Üben für den Ernstfall
NATO Das westliche Militärbündnis will seine Eingreiftruppen ausbauen und schwere Waffen nach Osteuropa verlegen
AUS GENF ANDREAS ZUMACH
Die Nato und ihre Führungsmacht USA haben eine erhebliche Verstärkung ihrer schnellen Eingreiftruppe Nato Response Force (NRF) sowie die Verlegung von schweren Waffen und militärischer Logistik in die osteuropäischen Mitgliedstaaten angekündigt. Beim am Mittwoch eröffneten Treffen der 28 Nato-Verteidigungsminister in der Brüsseler Zentrale wurde beschlossen, die Anzahl der bislang rund 18.000 NRF-Soldaten auf 30.000 bis 40.000 zu erhöhen.
Seit Mitte Juni führt die NRF im Baltikum, in Polen, Bulgarien und Rumänien mit über 14.000 Soldaten das größte Nato-Manöver seit dem Fall des Eisernen Vorhangs durch. Ursprünglich wurde die NRF 2003 für „weltweite Kriseneinsätze“ geschaffen. Ihre Verbände können binnen 5 bis 30 Tagen an andere Einsatzorte verlegt werden.
Darüber hinaus hatten die Regierungschefs der Allianz im letzten September die Aufstellung der besonders schnellen Eingreiftruppe (Very High Readiness Joint Task Force,VJTF) mit 5.000 Soldaten beschlossen. Die seitdem als „Speerspitze“ der Nato bezeichnete Truppe soll „im Falle einer Bedrohung“ der osteuropäischen Nato-Staaten durch Russland innerhalb „weniger Tage“ einsatzbereit sein und in diese Länder verlegt werden.
Laut den Plänen des Pentagon, die Präsident Barack Obama noch absegnen muss, sollen bis zu 250 schwere Kampfpanzer sowie Kampflugzeuge, Transportflugzeuge, raketenbestückte Schiffe, Geheimdienst- und Überwachungskapazitäten sowie Soldaten aus US-Spezialeinheiten in die drei baltischen Staaten, Polen, Rumänien, Bulgarien und eventuell nach Ungarn verlegt werden. Das verstößt zumindest gegen den Geist der Nato-Russland-Grundakte vom Mai 1997, die die Vereinbarung enthält, eine Aufrüstung in Mittel- und Osteuropa zu verhindern.
Die dauerhafte Stationierung von US-Bodentruppen in Osteuropa ist zwar zunächst nicht vorgesehen. Doch sehen die Pentagonpläne für den „Krisenfall“ die Verlegung von bis zu 5.000 GI’s aus westeuropäischen Stationierungsorten – überwiegend aus Deutschland – nach Osteuropa vor. Die Soldaten sollen binnen 72 Stunden einsatzbereit sein, nachdem die US-Regierung einen Krisenfall festgestellt hat.
Bereits im letzten Jahr hatten die USA in Reaktion auf die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland und Moskaus militärische Unterstützung für die Aufständischen in der Ostukraine rund 3.000 Soldaten sowie mehrere hundert gepanzerte Fahrzeuge in das Baltikum verlegt. Russland kritisierte diese Maßnahme als Verletzung des 1990 zwischen der Nato und dem damals noch existierenden Warschauer Pakt vereinbarten Vertrages über die Begrenzung konventioneller Streitkräfte in Europa (KSE). Im März suspendierte Moskau den Vertrag.
Daneben ist auch ein anderer Eckpfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur bedroht: Die USA erwägen die Stationierung neuer atomarer Marschflugkörper auf dem Territorium ihrer Verbündeten. Das wäre nur möglich nach einer Kündigung oder unter Verstoß gegen das 1987 mit Moskau vereinbarte INF-Abkommen, das zum Abzug sämtlicher atomarer Mittelstreckenraketen mit Reichweiten von 500 bis 5.500 Kilometern aus Europa führte.
In Washington mehren sich die Stimmen, die unter Verweis auf die „neue Bedrohung durch Russland“ die Aufkündigung dieses Vertrages fordern. Schon vor Beginn des Ukrainekonflikts hatte die Obama-Administration beschlossen, die in Deutschland, den Niederlanden und Belgien stationierten Flugzeug-Fallbomben vom Typ B-61 ab spätestens 2019 durch neue Flugzeugmodelle zu ersetzen.
Dabei soll aus einer einfachen frei fallenden Bombe eine lenkbare Präzisionswaffe werden. Dafür werden neue Flugzeuge gebaut: der F-35A Joint Strike Fighter, ein Tarnkappenbomber. Die neuen Modelle, mit denen im Krisenfall auch Kampfflugzeuge der Bundesluftwaffe ausgerüstet werden sollen, können sich per Radarsteuerung ihr Ziel suchen und sind sehr viel treffgenauer als ihre Vorgänger. Russland dürfte diese Modernisierung als Erhöhung seiner Bedrohung durch die Nato wahrnehmen – und mit Gegenmaßnahmen reagieren.
Neben der Entwicklung neuer atomarer Flugzeugbomben und Mittelstreckenraketen zur Stationierung auf dem Territorium ihrer europäischen Verbündeten betreiben die USA auch eine Modernisierung ihrer atomaren Interkontinentalraketen. Die langfristige Haushaltsplanung der USA sieht bis 2030 Ausgaben von bis zu drei Billionen Dollar für die Erneuerung der atomaren Waffenarsenale vor.
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