: Wildkatzen und Otter statt Panzern und Soldaten
NATUR Ehemalige Militärgebiete sollen zu Wildnis werden: Bund stellt 31.000 Hektar unter Schutz
BARBARA HENDRICKS, BUNDESUMWELTMINISTERIN
BERLIN taz | Wo unlängst noch Panzer den Boden durchwühlten und das Buschwerk niederwalzten, darf wieder Wildnis entstehen – der Reform der Bundeswehr sei Dank. Von deren früheren Übungsplätzen und Sperrgebieten hat das Umweltministerium einen weiteren Teil zum nationalen Naturerbe erklärt. Dem stimmte der Haushaltsausschuss des Bundestages vergangene Woche zu.
Die ersten beiden Naturerbe-Tranchen, die 2006 und 2011 unter die Obhut der Bundesländer, Naturschutzverbände und Umweltstiftungen kamen, umfassten 125.000 Hektar. Nun würden weitere 31.000 Hektar „dauerhaft gesichert“, sagte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD).
Anders als die großflächigen Ex-Manövergebiete, die vor dreieinhalb Jahren vor allem im dünnbesiedelten Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern umgewidmet wurden, liegen viele der nun stillgelegten Bundeswehrliegenschaften im Westen Deutschlands in der Nähe von Städten. Hätte der Staat mit dem Verkauf dieses attraktiven Grund und Bodens nicht seine Kasse ordentlich füllen können? „Ja“, sagte Hendricks, „der Bund verzichtet damit auf Einnahmen.“
Das hält die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz (BfN), Beate Jessel, aber für keinen großen Verlust. „Als Ökologin muss ich sagen, dass sich der Wert eines Waldes nicht nur nach der Menge des daraus gewonnenen Holzes messen lässt.“ Schließlich böten die nutzungsfreien Flächen den Anwohnern Erholung und Naturerleben, so Jessel. Zu den 62 Flächen gehören „Schwanewede“ bei Bremen, die Wersener Heide bei Osnabrück, Borkenberge und „Lavesum“ am nördlichen Ruhrgebietsrand und der ehemalige Truppenübungsplatz Lübtheener Heide in Mecklenburg-Vorpommern.
Der Bund kommt mit der dritten Naturerbe-Tranche seinem Ziel näher, 2 Prozent des Staatsgebiets der Natur zu überlassen. Echte Wildnisflächen seien hierzulande erst zu knapp 0,4 Prozent realisiert, sagte Jessel. „Das sind ausschließlich die Kernzonen der sechzehn Nationalparke.“ Die würden nun durch die neuen Naturerbeflächen deutlich erweitert. Die 31.000 Hektar entsprechen etwa der Größe von drei Nationalparken. Allerdings sind es nicht drei große zusammenhängende Gebiete, die der Natur überlassen werden, sondern 62 kleinteilige Areale, viele nicht größer als 200 Hektar.
Deutschlands Naturerbe ist noch zu zerstückelt, die ökologisch wertvollen Lebensräume führen eher ein loses Inseldasein. „Auf der Karte sieht das aus wie ein Schrotschuss“, sagte BfN-Biotopschutzleiter Uwe Riecken. Die Lebensräume müssten noch viel mehr miteinander vernetzt werden, um den genetischen Austausch zwischen Populationen zu ermöglichen. Damit sich Wildkatzen, Luchse oder Fischotter ausbreiten können, bräuchten sie eine grüne Infrastruktur aus Waldkorridoren, Grünbrücken, Fließgewässern und landwirtschaftlichen Fluren, die extensiv beweidet werden. Das gilt hierzulande als Strategie, den Artenschwund zu stoppen. Riecken verweist auf das Bundesnaturschutzgesetz, wonach ein Biotopverbund auf mindestens 10 Prozent des Staatsgebiets entwickelt werden soll.
Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung ihr Konzept zur grünen Infrastruktur erst für 2016 oder 2017 angekündigt. Vorbild und „Leuchtturmprojekt“ dafür ist das Grüne Band der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Auf rund 1.400 Kilometer Länge ist ein fast lückenloser Gürtel der biologischen Vielfalt entstanden. Dort fehlt aber immer noch ein länderübergreifender Schutzstatus. „Es sind immer noch 400 Kilometer, die keinen haben“, sagt Kai Frobel vom Umweltverband BUND. „Wenn das Privatbesitz ist, kann der Eigentümer machen, was er will.“
Wer bekommt jetzt die neuen Naturerbeflächen? Neben Naturschutzverbänden und Stiftungen will sich der Bund dieses Mal selbst mehr engagieren, pro Jahr 4 Millionen Euro bereitstellen und 18.000 Hektar von staatlichen Förstern pflegen lassen – unter strenger Betreuung der Naturschutzbehörde. BfN-Chefin Jessel meint: „Um daraus Wildnis zu machen, braucht es einen langen Atem.“ TIM BARTELS
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