: Wirklicher Schrecken
KUNST Großwildjäger, Polizisten und zu schmucken Vasen konvertierte Granathülsen: In den Kunst-Werken widmet man sich mit „Fire and Forget“ den Waffen der Gewalt
■ Der Titel der Ausstellung, „Fire and Forget“, ist ein aus dem Militärjargon stammender Begriff für Waffensysteme, die aus gefahrloser Distanz zum Feind ausgelöst werden. Mit den Mitteln der Kunst soll bei „Fire and Forget. On Violence“ den Auswirkungen nachgegangen werden, die der Einsatz von Waffen langfristig auf die menschliche Psyche hat. Die Schau in den Kunst-Werken, Auguststr. 69, ist bis 30. August zu sehen. Mi.–Mo. 12–19 Uhr, 6/4 Euro.
■ In der bei Matthes & Seitz zur Ausstellung erschienenen Publikation „Friendly Fire & Forget“ ist das Thema aus literarischer Perspektive beleuchtet, unter anderem von Wladimir Kaminer und Schorsch Kamerun.
■ Bei der „On Violence“-Gesprächsreihe zur Schau wird die Autorin Antonia Baum am Donnerstag, 23. Juli, über die Faszination für Gewalt in der HipHop-Kultur reflektieren. 20 Uhr.
VON HELMUT HÖGE
Während die Amerikaner Panzer in Osteuropa stationieren und die Russen ihr Atomwaffenarsenal wieder aufstocken, wird in hiesigen Museen und Galerien gern „Krieg und Kunst“ thematisiert. Der Kunstraum Bethanien zeigte vor Kurzem mit „Boys and their toys“ eine Ausstellung „Zur Omnipräsenz von Krieg und Waffen“, und die Kunst-Werke (KW) präsentieren nun eine Schau über Gewalt: „Fire and Forget. On Violence“.
Im Mittelpunkt steht (genauer: liegt) hier ein kompletter Panzer – aus Leder. Das Werk des chinesischen Künstlers He Xiangyu sieht ähnlich zusammengeschmolzen aus wie der bronzene Löwe in Frankfurt am Main nach den Bombenangriffen 1943/44, der seitdem ein Antikriegsdenkmal ist. Die KW-Kuratoren wollten jedoch keine humanistische Botschaft vermitteln, ihre Ausstellung orientiert sich „an den sichtbarsten Agenten von Gewalt: den Waffen“ – und ist in vier Bereiche gegliedert: Grenzen, die trennen; Affekt, den Waffen auslösen; Erinnerung und Ereignis.
Im ersten Bereich geht man zunächst durch ein von Daniil Galkin eingerichtetes schwarzes Drehgitter, um auf eine Reihe kleiner Bilder zu stoßen, die fortan überall in der Ausstellung hängen: Privatfotos von Soldaten aus den beiden Weltkriegen, gesammelt von Martin Dammann, der zudem noch ein Gemälde mit dem Titel „Jagdflieger“ aufgehängt hat.
Zur „Grenze“ gehören noch die Worte der Distanzierung an einer Wand von der Konzeptkünstlerin Barbara Kruger: „Meine Leute sind besser als ihre Leute …“ Außerdem ein Video von Javier Téllez von einer Protestkundgebung an der einseitig undurchlässigen Grenze zwischen Mexiko und USA, sowie ein an Kafkas Bestrafungsmaschine erinnernder Printer von Roy Brand, der die vier Grenzziehungen Israels (von 1949, 1951, 1967 und um die 2014 besetzten Palästinenser-Siedlungen) in eine Sandfläche ritzt. Dazu passt ein Video von Armin Linke, das eine israelische Straßensperre vor Gaza-City zeigt, die von Palästinensern durch unwegsames Gelände umgangen wird.
Ein großes Foto von Julian Röder, das einen vermummten Straßenkämpfer mit Steinen auf einem Zebrastreifen zeigt, heißt „Genua 2001“. Es korrespondiert mit einer wirklich erschreckenden Gewaltinstallation im ersten Stock: Man betritt kultursinnig gestimmt den Raum und sieht sich plötzlich von einem Trupp Berliner Polizisten in Kampfuniform umringt. Sie sind lebensecht und beweglich, einer in dieser Installation von Julius von Bismarck soll sogar lebendig sein. Auf einem Video von Korpys/Löffler testen sie an einigen der ihren eine neue Elektroschockpistole („Taser“ liebevoll von den Amis genannt). Die brasilianische Künstlerin Clara Ianni zeigt darüber hinaus neun Metallplatten mit Einschusslöchern unterschiedlicher Munition der Berliner Polizei.
Künstlerische Ohrfeigen
Direkte Gewalt vermittelt auch eine Reihe Fotos der Gruppe Neozoon, die schrecklich dümmlich aussehende kanadische Jäger mit ihrem erlegten Großwild zeigen. Während ein älteres Schwarzweiß-Video von Marina Abramović und Ulay, auf dem sie sich gegenseitig ohrfeigen, bloß Kunst ist, obwohl den beiden dabei sicher die Ohren weh taten. Aber Leiden ist ja ein Markenzeichen der serbischen Künstlerin. Anders das Video von Gillian Wearing, das eine Mutter zeigt, die ihre erwachsene Tochter schlägt. Eher um symbolische Gewalt geht es bei einer Arbeit von Rudolf Herz, „Museumsbilder“ betitelt: große Porträtfotos von Dachauer KZ-Verantwortlichen, die von Besuchern wütend zerkratzt wurden.
Eine ganze Wand in den Kunst-Werken ist mit von Künstlern nachempfundenen Gewehren vollgehängt, davor aufgesockelt ein mit Federn geschmückter Kampfhubschrauber. Diese Basteleien lassen einen jedoch ebenso kalt wie ein Abu-Ghraib-Häftlingskäfig mit Originalhitze. Weitaus lehrreicher ist demgegenüber ein Gender-Video von Joachim Koester, das Frauen zeigt, die Schießposen aus Westernfilmen vorführen. Ebenso ein Film von Harun Farocki, in dem treudoofe Weißkittel erzählen, dass und wie sie Napalm herstellen und was sie sonst noch alles an Chemikalien zum Töten von widerständigen Nichtamerikanern auf Lager haben.
Zu diesen sich einprägenden Beiträgen der Schau gehört auch ein Foto von Robert Longo, das die Explosion einer US-Atombombe auf den Marshall-Inseln zeigt, bei der mehrere bewohnte Atolle drum herum verstrahlt wurden. Und ebenso die auf dem Asphalt der Auguststraße vor den Kunst-Werken von James Bridle aufgemalten weißen Umrisse einer US-Drohne, wie sie gegen angeblich islamistisch motivierte Gewalttäter etwa im Jemen eingesetzt werden, ferngesteuert von Ramstein (bei Kaiserslautern) aus.
Auch dem muslimischen Hang zur Gewalt ist eine kleine Abteilung gewidmet: Hrair Sarkissian zeigt eine Serie von syrischen Hinrichtungsstätten, Kris Martin einen Haufen mit 706 Granathülsen, die ein arabischer Feinschmied liebevoll zu Vasen konvertierte, und Ala Younis aus Kuwait stellte Hunderte bemalte Zinnsoldaten auf einen großen Tisch, wobei eine Figur für 1.000 lebende Soldaten steht – sortiert nach den Armeen der Länder des Nahen Ostens.
Kriegsspiele mit Stöcken
Schließlich sei noch das KW-„Kunsterziehungs-Labor“ erwähnt. Auch hier gibt es eine Wand voller Gewehre und Panzerfäuste, die jedoch viel überzeugender (weniger künstlerisch) wirken als die oben erwähnte Waffenwand. Sie wurden in der Erfinderwerkstatt der Pankower Jugendkunstschule (Juks) gebaut und sind der Beliebtheit der Jugendlichen für Kriegsfilme und Video-Kriegsspiele geschuldet. Das gilt auch für das Video der Juks-Fotowerkstatt, in dem sie mit Stöcken im Park Krieg spielen. Beides korrespondiert mit einem Videospiel von Hunter Jonakin „Jeff Koons Must Die!“, an dem die Ausstellungsbesucher Kunstwerke in einer Galerie in die Luft jagen können.
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