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Schimmel, Ratten, rohe Gewalt

SCHÖNEBERG In der Grunewaldstraße 87 leben seit letztem Herbst Wanderarbeiter unter schlechtesten Bedingungen. Nach dem Einsatz eines SEK tagte nun ein runder Tisch

Eine Frau mit Baby: kein Strom. Ein Mann, auch er Vater: aus der Wohnung geworfen

VON SUNNY RIEDEL

Es war als runder Tisch gedacht, doch die meisten TeilnehmerInnen gingen enttäuscht nach Hause. Als „Schmierenkomödie“ bezeichnete eine Anwohnerin das Treffen mehrerer Akteure am Dienstagabend im Zusammenhang mit dem Haus in der Grunewaldstraße 87, wo am selben Morgen noch ein Einsatz des Sondereinsatzkommandos (SEK) statt gefunden hatte. Das Interesse an dem Treffen im Schöneberger Jugend- und Kulturzentrum PallasT, zu dem Bezirk und Stadtteilverein geladen hatten, war groß, der Raum so überfüllt, dass die Fernsehteams vor den Türen warten mussten. Doch die erhofften Lösungen brachte es nicht.

Seit im November vergangenen Jahres einige hundert Menschen, zum Großteil aus Rumänien, in die leer stehenden Wohnungen eingezogen sind, ist die mediale Aufmerksamkeit an dem Gebäude in der Grunewaldstraße 87 unverändert hoch. Es mehren sich Beschwerden über Lärm, Müll und Kriminalität im Umkreis des Hauses. Die Vermutung, der Eigentümer versuche, die wenigen verbliebenen Stammmieter mit ihren alten Mietverträgen zu entmieten, ist für viele, auch für offizielle Stimmen, längst Gewissheit.

Die Nerven von Stammmietern und Anwohnern liegen blank, die rumänischen Familien, viele mit Kindern, leben unter schwierigsten hygienischen Bedingungen inklusive Schimmel, Krätze, Rattenbefall, verdreckten Außentoiletten. Zudem sind sie der Willkür halbseidener Gestalten ausgeliefert, die hohe Mietsummen einstreichen und die Menschen unter Gewaltandrohung in Schach halten.

Was man tun und wie das Problem für alle Beteiligten gelöst werden könnte: Darum sollte es bei der Veranstaltung am Dienstagabend gehen. Bewohner und angrenzende Anwohner trafen auf Vertreter von Polizei und Ordnungsamt, von Gesundheits- und Jugendamt, auf Leute vom Stadtteilverein und der Romaorganisation Amaro Foro e. V. An fünf großen Tischen konnten sich die Leute informieren, waren aber auch aufgefordert, Ideen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Schnell zeigte sich, wie die Interessen gelagert waren. Um den Tisch der Polizei sammelten sich die meisten AnwohnerInnen. Ein älterer Anwohner berichtete von seiner Angst vor steigender Kriminalität im Kiez, vor der Sorge, der Handtaschenraub würde zunehmend der Prostitution weichen. Ein Beamter erklärte, man habe vermutet, dass bei einem Streit zwischen vier Männern am Morgen auch eine Schusswaffe im Spiel gewesen sei – daher die Anforderung des SEK. Ansonsten wiegelte er ab, die Kriminalität sei zwar tatsächlich gestiegen, aber im Vergleich zu anderen Teilen Berlins noch überschaubar.

Währenddessen äußerten die rumänischen Familien am Nebentisch ganz andere Probleme, die sie der Bauaufsicht mitteilen wollten. Verschlossene Außentoiletten, zu denen sie keinen Schlüssel hätten. Eine Frau mit kleinem Baby: kein Strom. Ein Mann, auch er Vater: ohne Räumungstitel aus seiner Wohnung geworfen. Er schlafe seither im Auto, was ihm die Polizei jedoch auch untersagt habe. Was er denn nun tun solle?

Bei den Behördenvertreterinnen stoßen Menschen wie diese gelinde gesagt auf taube Ohren. Bisher lägen keine Mängel vor, die als gesundheitsgefährdend eingestuft werden könnten, sagte die Vertreterin des Gesundheitsamtes. Ihre Fachleute hätten das so bestätigt. Kopfschütteln bei den Zuhörern. Es könne nicht sein, erregt sich ein Anwohner, dass man ständig mit den Hinweisen beschwichtigt werde, die Behörden seien überlastet.

Aus Sicht von Amaro Foro e. V. hat die Veranstaltung mehr Schaden angerichtet als geholfen – schon wegen der fehlenden Übersetzer für die rumänischen Familien. „Wir hatten uns gewünscht, dass das Anliegen der Bewohner in diesem öffentlichen Rahmen Gehör findet.“

Positiv bewertet wurde das Treffen hingegen von Annette Maurer-Kartal vom Schöneberger Stadtteilverein. „Als Start ist es gut gelungen, aber eine Lösung gibt es nicht sofort.“ Einige Behörden könnten nach den Beschwerden der TeilnehmerInnen Probleme jetzt gezielter angreifen. Es sei geplant, dass sich die Bezirke zusammen tun, um an den Senat zu appellieren, damit im veralteten Wohnungsbaugesetz endlich Lücken gestopft werden könnten, die die Praxis der Entmietungen möglich machten. Außerdem werden nun auch Paten für die Kinder dort gesucht.

Für Maurer-Kartal steht fest, dass jetzt weitere Treffen folgen müssen. Kurzfristig müsse vor allem die Not der rumänischen Familien gelindert werden: „Das wichtigste ist, dass die Leute Wohnungen finden.“

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