: Wippen mit Pumps
KULTURDIALOG Daniel Barenboim hat seit seinem Abgang von der Mailänder Scala 2014 noch mehr Zeit für sein Herzensziel, den Frieden in Nahost. Seine Barenboim-Said Akademie feierte am Montag Richtfest
VON STEFAN HOCHGESAND
Schon wieder Richtfest? Die Berliner Kulturschickeria kommt gar nicht mehr raus aus dem Richtfeiern: Am Freitag war das Stadtschloss dran, Anfang Juli folgt die Staatsoper. Dazwischen feierte man vorgestern Nachmittag auf der ungewöhnlichsten und zu Unrecht unbekanntesten unter den drei großen Kulturbaustellen in Mitte: der Barenboim-Said Akademie in der Französischen Straße 33. Hier, im einstigen Requisitenfundus der Staatsoper, nimmt eine Vision Gestalt an, geboren aus dem Geiste des West-Eastern Divan Orchestra: Ab Herbst 2016 werden rund 100 hochbegabte MusikstudentInnen aus dem Nahen Osten mit bundesdeutschem Stipendium an der neuen Akademie geschult – auf ihrem Instrument, aber last not least auch in Geisteswissenschaften, vor allem in Philosophie. Einander zuhören ist angesagt – beim gemeinsamen Musizieren und beim Grübeln über die Übel und das Gute in der Welt.
Marokkanisches Buffet
Die Richtkrone im 20 Meter hohen Saal wird noch zurechtgeruckelt fürs Foto: Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Kulturstaatssekretär Tim Renner und natürlich Daniel Barenboim. Michael Naumann, einst Kulturstaatsminister unter Gerhard Schröder und nun Direktor der Akademie, muss sich schon mahnend als „Bauherr“ inszenieren, damit es bei all dem Blitzlichtgewitter und den westöstlichen Köstlichkeiten am marokkanischen Buffet endlich losgehen kann: Baustellen-Polier Michael Fuhrmann gibt mit Tom-Waits-Reibeisenstimme ein Hoch auf den Architekten, die Maurer und die Zimmerleute. Die Lacher der Gäste hat er auf seiner Seite, vom Bauhandwerker bis zum MdB. Prompt lässt er schwungvoll sein Glas auf dem Boden zerklirren, zum Schrecken einer Dame mit Gold-Stilettos nahebei.
Neben den Bierbänken sieht man ein simuliertes Bild des fertigen Kammerkonzertsaals „Pierre Boulez“. Stararchitekt Frank Gehry hat den Entwurf pro bono gezeichnet. Es wird der einzige Konzertsaal der Welt mit elliptischen Oval-Rängen sein. Gehry hatte sie schon wieder verworfen, aber Barenboim wollte sie unbedingt haben. Dafür durfte der östliche Gebäudeflügel des Altbaus vollständig entkernt werden, obwohl das Haus unter Denkmalschutz steht.
Grütters betont die geistige Nähe Barenboims zum Weltkulturmenschen Goethe. Die Akademisten würden als Botschafter einer deutschen und europäischen Musikkultur in die Zivilgesellschaften ihrer Heimatländer zurückkehren und Erfahrungen grenzüberschreitenden Miteinanders dorthin mitnehmen. „Die Erfahrungen der Studierenden sind nicht mathematisch quantifizierbar und sie werden in keiner Exportstatistik auftauchen. Diese Vision und mit ihr die Barenboim-Said Akademie hier in Berlin zu betreuen, das kann auch als Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zum Friedensprozess im Nahen Osten verstanden werden.“ 20 der 33,7 Millionen Euro stammen aus Grütters’ Etat. Dass man in Berlin eben doch noch „sehr günstig mieten kann“, ulkt Renner, beweise das Land Berlin, indem es der Akademie das Haus auf 99 Jahre für nur einen Euro Jahresmiete überlässt. Davon kann man in Neukölln nur träumen.
Statt des Außenministers Steinmeier sprach Andreas Görgen, Leiter der Kulturabteilung: „Die Diplomatie der Kultur kann oft weiter gehen als die Kultur der Diplomatie.“
20 Minuten Kulturcredos sind genug, denn alle wollen den Sound des Saals hören, der, laut Renner, schon „erstaunlich gut“ klinge. Mozarts Quintett in Es-Dur hat der Maestro ausgewählt, für Klavier (das spielt er selbst), Oboe, Klarinette, Horn und Fagott. Mozart selbst hielt es für „das Beste, was ich noch in meinem Leben geschrieben habe“. Ein erhabener Tausch musikalischer Motive im doppelten Kontrapunkt. Vier junge Diwan-Musiker spielen die Bläser: zwei Israelis, eine Spanierin und ein Palästinenser. Zugegeben: Der Sound ist noch arg hallig, aber, hey, wir sind auf einer Baustelle – auch wenn sie für die Prestige-Party perfekt ausgeleuchtet ist. Da wippt Grütters mit marineblauen Pumps und Renner mit den beigen Sneakers.
„Wir lernen auch von der Musik für das Leben“, sagt Barenboim nach dem Applaus. Man müsse sich einmal vorstellen, was es für einen Musiker aus der Nahost-Region bedeute, hier dem „Feind“ gegenüberzusitzen – „jemandem, der ein anderes Land repräsentiert, der im eigenen immer als Monster beschrieben wurde“. In der Musik sei man es hingegen gewohnt, nicht bloß auf die eigene Stimme zu hören und die Ohren für die andern zu verschließen: „Jede Melodie hat eine Nebenstimme, hat Begleitung, manchmal fast subversiv.“
Den Auftakt haben wir immerhin gehört. Bevor es 2016 richtig losgeht, startet im Herbst ein Probelauf mit 13 Studierenden. Sie werden von sich hören machen, wenn das letzte Richtfest-Buffet gekapert ist.
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