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Mit Herz im Einkaufswagen

THEATER Am Stadttheater Bremerhaven hat Intendant Ulrich Mokrusch Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ in zeitlos modernisierter Abstraktion inszeniert

Vom Krieg profitieren zu wollen, ohne Teil des Kriegs zu werden, so wird mit Brecht an der Wesermündung gelehrt, das funktioniert nicht dialektisch, sondern ist schlicht unmöglich

VON JENS FISCHER

Immer gieriger wird das Staunen. Dort steht er, der Traumpartner für den Monatseinkauf im Mega-Supermarkt. Brachial sperrig und provozierend unhandlich, aber ein Drahtkorb auf Rädern mit XXXL-Stauraum. Mutter Courage nutzt ihn für eine vorbildlich inklusive Unterbringung ihrer Kinder, die alle unterschiedliche besondere Fähigkeiten, Behinderungen, haben. Und gern mal akrobatisch am Gestänge turnen. Was für ein tolles Spielgerät, welch Hingucker und Bedeutungsträger ist diese mobile Metallinstallation. Als gewaltig emporragende Setzung im kargen Zirkusmanegen-Bühnenbild verschiebt der Einkaufswagen auch die Perspektive des Stücks.

Der Brecht-historisch seit Jahrzehnten auf den Drehbühnen der Welt kreiselnde Planwagen der Marketenderin war immer ein Warenlager zum Verkauf – in der stadttheatralen Bremerhavener Inszenierung erscheint er nun als Warenlager zum Einkauf. Aus dem Symbol der selbstständigen Kauffrau, altideologischer Kritikpunkt: rein gewinnmaximierendes Geschäftsgebaren, wird eines des Shopping-Wahns, neuideologischer Kritikpunkt: Konsumzwang.

Auch sonst setzt der regieführende Intendant Ulrich Mokrusch auf zeitlos modernisierte Abstraktion. Gestrichen sind die Verweise auf den Dreißigjährigen Krieg, in dem Brecht das 1938 verfasste Stück angesiedelt hatte, in Vorahnung der kommenden Weltkriegsgräuel. Präsent sind aber Verbrechen gegen die Menschlichkeit – durch nachgestellte Foltermethodik der US-Army. Die Uniformen zitieren zudem diverse Epochen, kostümieren also den „universal soldier“.

Wo und wann er auch immer stattfindet: Krieg bleibt Krieg. Korrumpiert alle und alles. Die ihn führen, sind diejenigen, die seine Kosten zahlen.

Aber die Courage will auch gut verdienen. Und wird damit zum Zentrum der zwei Seiten der einen Geschichte: einer recht sachlichen Analyse der Wechselwirkungen zwischen Krieg und Geschäft – und dem zum Erbarmen traurig erzählten Versuch, trotz des allgemeinen Abschlachtens zu überleben. Mit allen Kindern und Freunden. Courage zeigt Courage – und verliert alles. Vom Krieg profitieren zu wollen, ohne Teil des Kriegs zu werden, so wird mit Brecht auch an der Wesermündung gelehrt, das funktioniert nicht dialektisch, sondern ist schlicht unmöglich. Auch kann niemand schadlos das kapitalistische Wirtschaftssystem verdammen – und es gleichzeitig als Konsument unterstützen. Das mag im Angesicht des Einkaufswagens eine aktuelle Deutung sein. Aber natürlich ist es auch möglich, Brecht einen alten Brechtianer sein zu lassen – und die Aufführung als Klassiker zum Wiedererkennen zu genießen. Denn es gibt kaum regiemeisterliche Übermalungen oder Unterwanderungen des Textes in der dramaturgisch geschickt um mehr als ein Drittel gekürzten Fassung.

Da die Brechterben die eingereichten Arrangements der Paul-Dessau-Kompositionen für ein jazzendes Bühnentrio nicht genehmigt hatten, produzierte Patrick Schimanski die Musik in seinem Studio: freigeistig verfremdet, teilweise hinreißend skelettiert, dabei immer die rhythmische Mechanik präzisiert.

Leider ist die Zuspielung dieser geradezu archaisierenden Klangbilder recht leise und blass, sodass die live dazu singenden Darsteller ihr Können nur bedingt entfalten können. Wirkt Playback-steril. Auch die Nebenfiguren sind eher leblos. Weil es Brecht nicht um psychologische Erklärungen, sondern um die Gefühlsökonomie des Systems Krieg gegangen ist, bevölkern Prototypen die Bühne.

Fein sickern Emotionen in die pathosfreie Aufführung aber durch Sascha Maria Icks – sie gestaltet die Hauptrolle als alleinerziehende Ich-AG von heute. Einerseits empathisches Muttertier und fürsorgliche Liebhaberin – andererseits resolute Bestimmerin, gewiefte Händlerin und abgebrühte Schlachtenbummlerin. Warmherzigkeit trifft Kaltschnäuzigkeit. Wenn der Friede plötzlich den Umsatz bedroht, ein Sohn erschossen wird, der Koch sexuelle Gelüste weckt: Momentweise löst Icks dann die Härte der Courage auf in ein träumerisches Verharren, was aber sogleich wieder weggedrückt wird – zurück zum Alltag. Der Krieg frisst seine Kinder. Auch die stumme Tochter Kattrin. Ein nervös-empfindsames Wesen von intuitiver Intelligenz. Bis zum Äußersten lädt Jennifer Sabel die Schlusssequenz mit Spannung auf: Trommelnd wird sie auf einem Popheldenpodium himmelwärts gefahren, ändert so kurz vor ihrer Erschießung den Lauf der Kriegslogik und rettet eine Stadt vor der Erstürmung. Auch hier distanziert sich Mokrusch nicht verfremdend von der Handlung, sondern legt sie den Zuschauern ans Herz. In den Einkaufswagen.

■ Die nächsten Vorstellungen: Sonntag, 14. Juni, 15 Uhr, Samstag, 20. Juni, 19.30 Uhr, Donnerstag, 25. Juni, 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven

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