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Das Brummen der Stromfelder

GEWOHNHEITEN Sein Reiz liegt im Unvorhersehbaren – und sonst Unhörbaren: Zum zehnten Mal lädt das Hamburger Festival Blurred Edges zur Entdeckungsreise durch die experimentelle Musikszene der Stadt

Bis heute ist Blurred Edges ein basisdemokratisch organisiertes Produzentenfestival

VON ROBERT MATTHIES

Das leise, aber beständige Brummen der Stromkabel. Vor 30 Jahren hat auch Christina Kubisch noch versucht, das störende Geräusch aus den Kopfhörern herauszufiltern. Irgendwann hat die in Bremen geborene Berlinerin den Spieß umgedreht: Mit besonders empfindlichen Kopfhörern macht sich ihr Zyklus „Electrical Walks“ seit zwölf Jahren ganz bewusst auf die Suche nach „ungewollten“ elektrisch erzeugten Klängen, verstärkt die ober- und unterirdischen elektrische Ströme und macht sie hörbar.

Immer häufiger sind sie in den letzten 20 Jahren geworden, überall surrt, knarzt, klickt und brummt es: Überwachungskameras, Diebstahlsicherungen vor Geschäften, Handys, Antennen, Bankautomaten, Leuchtreklamen. Es sind komplexe Stromfelder, die den öffentlichen Raum durchziehen, für menschliche Ohren eigentlich unhörbar.

Über 50 „Electrical Walks“ hat Kubisch seit 2004 organisiert, in Köln, Oxford, Montreal, Hong-Kong oder Mexico-Stadt. Eine umfassende Kartographie ungewollter elektrischer Klänge ist so entstanden: von Ort zu Ort variiert die Palette an Klangfarben und Lautstärken, jedes Land hat ein eigenes Klangprofil.

Zwei Wochen lang lädt Kubisch nun erstmals auch in Hamburg zum Stromhören, im Schanzenviertel und auf St. Pauli. Eine Umgebungskarte markiert mögliche Routen und besonders interessante Stromfelder. Ein erster Spaziergang zusammen mit Kubisch beginnt am Samstagnachmittag um 15 Uhr vor dem Musikladen Hanseplatte. Danach kann man sich zwei Wochen lang zwischen 10 und 18 Uhr allein auf die Abenteuerreise durch die elektromagnetischen Felder machen, Kopfhörer bekommt man gegen Pfand in der Hanseplatte.

Ausdrücklich eine „Entdeckungsreise“ durch die Stadt und ihre experimentelle Musikszene ist auch das Festival Blurred Edges selbst, in dessen Rahmen Kubischs Projekt nun zu erleben ist. Zum zehnten Mal findet es seit Freitag statt, zwei Wochen lang präsentiert es an über 40 Orten in der Stadt die ganze Vielfalt experimenteller Musik: Analoges, Elektroakustisches und Elektronisches, Komponiertes und Improvisiertes, Fieldrecordings, Performances und akustische Spaziergänge. Über 130 KünstlerInnen, Projekte und Bands sind da auf 61 Veranstaltungen zu hören.

„Das Spannende am Blurred Edges ist, dass man die Stadt entdecken kann, Orte, die man vorher gar nicht kannte“, sagt Gunnar Lettow, der das Festival gemeinsam mit vier anderen für den Verband für aktuelle Musik Hamburg (VAMH) organisiert. Als Avantgarderocker ist Lettow aus Kiel nach Hamburg gekommen, heute ist er vor allem für seine Arbeit mit präpariertem E-Bass bekannt, allein, aber auch in Duos und Trios. Jeden Monat präsentiert er in seiner Konzertreihe „Frequenzgänge“ improvisierte Musik und bringt Ad-hoc-Ensembles zusammen.

Sogar einer der Gründer des VAMH, Gregory Büttner, sagt, dass er die ganze Vielfalt der experimentellen Szene der Stadt erst durch die Arbeit im Verband wirklich kennengelernt habe. Seit 15 Jahren macht Büttner Klangkunst und elektroakustische Kompositionen, betreibt ein kleines Label namens 1000füssler, auf dem er Experimentelles in kleiner Auflage veröffentlicht. Vor elf Jahren hat Büttner dann den Verband mitgegründet. „Aus Protest gegen die Kulturpolitik von CDU und Schill-Partei“, erzählt er. „Die damalige Kultursenatorin Dana Horáková hatte viel gestrichen, und wir haben gesagt: Wir müssen uns alle zusammentun, um etwas zu erreichen und zu zeigen, wie viele Leute hier experimentelle Musik machen.“

Um die weitläufige Alltagskultur experimenteller Musik auch nach außen zu präsentieren, die Szene selbst zu vernetzen, aber auch Abgrenzungen und Einkapselungen aufzubrechen, ist dann noch im gleichen Jahr das Blurred-Edges-Festival entstanden. „Wir hatten zwar kein Geld, aber haben gesagt: Wir machen jetzt zwei Wochen und jedem, der etwas macht, geben wir eine Klammer und das ist dann ein Festival“, sagt Büttner.

Bis heute ist Blurred Edges basisdemokratisch organisiert, ein Produzentenfestival. Jeder, der mitmacht, kuratiert seine Veranstaltung selbst, der Verband sammelt, stellt einen Rahmen her, druckt ein Programmheft, macht Werbung und wirbt Mittel ein. Auch zum zehnjährigen Jubiläum hält sich das kleine Organisationsteam bewusst zurück, nicht mal eine Eröffnungsveranstaltung gibt es. „Manchmal sind wir deswegen schwer zu greifen“, gibt Büttner zu. Aber das eben sei ausdrücklich gewollt, der Reiz des Festivals sei das Unvorhersehbare. Schließlich geht es um experimentelle Musik: darum, dass einem das Hören wieder zum Abenteuer wird.

■ bis Sa, 20. 6., diverse Orte in Hamburg, Infos und Programm: www.blurrededges.de

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